Branko Milanovic trägt zusammen, was wir über die neue Ungleichheit der Welt wissen. Er stößt auf die Tatsache, dass die globale Ungleichheit zum ersten Mal seit der industriellen Revolution vor zwei Jahrhunderten nicht in erster Linie die Folge eines wachsenden Einkommensgefälles zwischen den Ländern ist. Mit dem Anstieg der Durchschnittseinkommen in einigen asiatischen Staaten ist die Kluft zwischen den Ländern kleiner geworden. Zugleich öffnet sich die Schere zwischen zwischen Arm und Reich.
Ein Schlüssel zum Verständnis seiner Argumente ist die Darstellung des relativen Anstiegs des realen Pro-Kopf-Haushaltseinkommens zwischen 1988 und 2008 an den verschiedenen Niveaus der globalen Einkommensverteilung. Dabei zeigt sich, dass die geringsten Zuwächse in Haushalten verzeichnet wurden, die zu den Top 25 Prozent der Einkommenspyramide gehören. Das sind die Haushalte der sogenannten ersten Welt. Unter ihnen haben nur die wirklich Einkommensreichen noch erheblich zulegen können. Die Mittel- und Unterschicht der ersten Welt sind in Relation die Hauptverlierer der letzten zwanzig Jahre. Die Wirtschaftskrise ab 2008 verstärkte diesen Trend noch.
In die Zukunft
Milanovic wagt es, in die Zukunft zu schauen. Natürlich erklärt er ausführlich, warum dies riskant ist und relativiert seine Aussagen vorab. Trotzdem liefert er Thesen – was wertvoll ist. Denn vor lauter Angst vor der hohen Wahrscheinlichkeit, von der Geschichte widerlegt zu werden, drohe sonst der Diskurs über die Zukunft zu stocken. Milanovic sagt, dass der Trend der vergangenen zwanzig Jahre sich fortsetzen wird. Er hält dies für wahrscheinlicher als die Umkehrung des Trends (S. 178).
Aus Milanovic´ Zahlen und Thesen ergibt sich ein klares Bild. Die Mittelschicht der „ersten Welt“ hat noch deutlich überdurchschnittliche Einkommen im globalen Vergleich. Die Komfortposition ist aber bedroht durch eine dynamische Entwicklung in anderen Teilen der Welt. In diesem Zusammnhang ist auch die zunehmende Abschottung der Wohlhabenden jenseits der aktuallen Migrationsbewegungen zu sehen. Dieser stark verkürzte Befund legt nahe, warum die Mauern gegenüber dem Rest der Welt in den Gruppen der Mittelschicht der ersten Welt an Unterstützung gewinnen. Sei es in Stimmen für nationalistische Politik (in Nordeuropa), der Unterstützung für Protektionismus (in den USA) oder den Rückzug aus offenen Wirtschaftsgebieten (durch Großbritannien). Die Parallelität der Ereignisse legt eine unterliegende weltweite Entwicklung als Erklärung nahe. Milanovic hätte dafür eine Erklärung geliefert. Stefan Wally
Milanovic, Branko: Die ungleiche Welt. Migration, das eine Prozent und die Zukunft der Mittelschicht. Berlin, Surhkamp, 2016. 312 S., € 25,- [D], 25,70 [A] ; ISBN 978-3-518-42562-6