Michael Klipphahn-Karge, Ann-Kathrin Koster, Sara Morais dos Santos Bruss (Hg.)

Michael Klipphahn-Karge et al. (Hg.): Queere KI

Ausgabe: 2024 | 3
Michael Klipphahn-Karge et al. (Hg.): Queere KI

Künstliche Intelligenz ist nicht wertneutral, vielmehr besteht sie aus der Summe der Daten, welche ihr von Menschenhand zur Verfügung gestellt werden und wird gesteuert von menschengemachten Algorithmen. So ist es weder verwunderlich noch neu, dass gängige Formen der Diskriminierung und Vorurteile auch von KI fortlaufend generiert werden. Doch die Technik selbst ist offen und „in Teilen unbestimmt […] und [stellt] somit in ihrer konkreten Anwendung und Aneignung einen eigenen Möglichkeitsraum dar, dem widerständiges Potenzial innewohnt, das freigesetzt werden kann“ (S. 17). Wie KI eingesetzt wird, welches Wissen diese Technik reproduziert, ist auch Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse, somit kann das Potenzial dieser Technik auch genutzt werden, um marginalisierte Gruppen sichtbar zu machen. Der Sammelband „Queering KI. Zum Coming-out smarter Maschinen“ identifiziert anhand von Beiträgen aus geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive Formen künstlerischer Intervention, gesellschaftliche Machtverhältnisse und stellt Fragen zur Konstruktion von Geschlecht und Gender.

Über Queering

Queer – ursprünglich als Abwertung von Gruppen jenseits heteronormativer Ideale genutzt – wurde von ebenjener Community positiv aufgeladen und dient der Analyse und dem Aufbruch der scheinbaren Eindeutigkeit. „Queer als kritische Praxis, die sich gegen naturalisierende und vereindeutigende Ausdeutungen sozialer, kultureller und politischer Sichtweisen richtet sowie das ihnen inhärente Repressionspotenzial herausstellt“ (S. 15). Exemplarisch wird etwa in der Einleitung auf die Gay Bomb verwiesen, „eine im Jahr 1994 begonnene und im Jahr 2005 eingestellte Forschungslinie des US-Militärs, die zum Ziel hatte, eine aphrodisierende Chemiewaffe zu entwickeln, die wortwörtlich ‚gay‘ machen sollten“ (S. 16). Was gegenwärtig beinahe satirisch anmutet, repräsentiert jedoch die in der militärischen Industrie verkörperte Homophobie. Wenngleich das Projekt eingestellt wurde, schlug 2003 in Afghanistan ein amerikanischer Sprengkörper mit der Aufschrift „High Jack This Fags“ ein. Der Künstler Zach Blas nutzt eben dieses symbolkräftige Ereignis und erarbeitete als Teil der Werkgruppe Queer Technologies mit User’s Manual Gay Bomb ein 85 Seiten umfassendes Paper, das sowohl eine Auseinandersetzung mit der Theorie queerer Technik als auch einen Handlungsauftrag umfasst, um durch politische Aktionen eben diese Normen „durch eine Diskursumleitung im Sinne eines vitalen, […] mutierenden politischen Körpers queerer Ermächtigung“ (S. 17) aufzubrechen.

Über Verkörperungen

Unter dem Kapitel „Somatik“ wird die Verkörperung von Maschinen wie auch die Unterstützung menschlicher Körper mittels Prothesen diskutiert. Behandelt wird hier etwa, „wie sich Künstlichkeit und Queerness in  Körpern als Gegenstände der Kunst einschreiben“ (S. 82). Der Beitrag von Michael Klipphan-Karge beschäftigt sich umfassend mit den Möglichkeiten der Kunst, mit Geschlechtsstereotypen zu spielen und diese in Momenten der Irritation aufzubrechen. Es geht um das Darstellen von Ambiguitäten beziehungsweise von ambigen Maschinen, die nicht nur als Industrieroboter agieren, sondern Geschlechtsmerkmale aufweisen und mittels KI auch mit Menschen interagieren. Darüber hinaus wird auch verhandelt, wie es um das Verhältnis von körperlich beeinträchtigten Menschen und deren Prothesen steht. In diesem Bereich gibt es vieles zu beachten, nicht für jede Person mit einer körperlichen Beeinträchtigung muss es ein Ziel sein, diese durch Technik unsichtbar zu machen. Hinzu kommt die Gefahr des Datenextraktivismus: „Die Sammlung möglichst vieler Daten von Menschen mit Behinderung wird hier also mit Inklusion begründet, wobei unklar ist, ob diese Gruppe auf die Produkte überhaupt angewiesen ist, ob die Devices für sie erschwinglich sind und bei ihnen ankommen“ (S. 109).

Hack back!

Ob Siri oder Alexa oder doch lieber Cortana? Wir erleben eine Feminisierung smarter Artefakte wie den dargestellten Sprachassistentinnen. Nicht nur ihre Namen sind klar weiblich zu lesen, auch ihre Stimmen und Charaktereigenschaften werden als weiblich genormt. Um dem entgegenzuwirken, empfiehlt die Autorin des Kapitels, Natalie Sontopski, sich vorab etwa im Rahmen einer Forschungspraxis damit auseinanderzusetzen, um zu vermeiden, mit diesen Strategien Gender wieder zu re-essentialisieren. Es gehe weniger darum, die Geräte mit neutralen Stimmen zu versehen als vielmehr darum, die dahinterstehenden Machtverhältnisse und Normen zu hinterfragen.  „Es soll dabei nicht ein Geschlecht sichtbarer als das andere gemacht werden, sondern grundsätzlich hinterfragt werden, wie Gender dargestellt wird, aus welchen Gründen und ob Alternativen existieren“ (S. 133).