Markierungen für eine offene Gesellschaft

Ausgabe: 1996 | 2

Die Staaten Europas sorgen zur Zeit mit ihrer dezifierten Spar- und Belastungspolitik (im Schatten der “Maastricht-Kriterien") dafür, daß Geduld und Widerstandsfähigkeit der Bürger gleichermaßen auf die Probe gestellt werden. So wurden jüngst in Österreich - ähnlich wie in anderen Staaten - tiefgreifende Finanz- und Sozialgesetze innerhalb von zwei Wochen durch das Parlament gejagt, um die Budgets 1996/97 um 100 Milliarden Schilling zu reduzieren. Umstrittene Passagen wurden in Verfassungsrang gesetzt, um sie gegen juristische Einsprüche zu immunisieren. Ob in den Ausschüssen, den Debatten und Abstimmungen - die Zeitknappheit zwang zur Rollenverteilung: Totalverteidigung versus Fundamentalopposition. Kreative, alternative Sparideen wie sie auch Studenten, Professoren und Arbeiter demonstrativ aufzeigten - wurden aus Zeitdruck kaum beachtet. Der Schaden für das ohnehin schlechte Image der repräsentativen Demokratie und ihrer Politik(er) ist kaum abzuschätzen. Warnungen vor durchaus am Horizont sichtbaren Entwicklungen wurden Ende 1994 auch auf einer in diesem Band dokumentierten - Wissenschaftlertagung in Graz laut. Können die Staaten der schlechten Verfassung, in der sich ihre Länder befinden, mit einer Totalrevision der Verfassung und mehr direkter Demokratie begegnen? Eine jüngste Meinungsumfrage in Österreich ergab, daß sich nur 6 % der Wähler in der Politik engagieren wollen. Der wehrhafte Bürger, der nicht nur für die Exekution mühsam erkämpfter Rechte, sondern auch für eine diskursive, politische Kultur sorgt, gerät gegenüber einer nach "rechts" abdriftenden" Mitläufergesellschaft" - wie sie Nadine Hauer charakterisiert - in die Defensive. In einer von Medien dominierten Gesellschaft gibt es nach Meinung von Ota Weinberger" ... keine Gelegenheit dafür, den durch politische Werbung präsentierten Standpunkt einer rationalen Diskussion zu unterziehen. Jedenfalls nicht in gesellschaftlich wirksamer Weise ... ". Bernd Guggenbergers Plädoyer, den globalen Bedrohungen durch eine Globalisierung der politischen Strukturen entgegenzuwirken - und damit auch Nationalstaaterei zu überwinden - zeigt in seinem Idealismus zukunftsfähige Wege auf. Allerdings lassen gegenwärtig die systemimmanenten Krisen von Giganten wie UNO, EU, NATO usw. an ihrer Überlebensfähigkeit zweifeln. Wer kann es jenen engagierten Bürgern verübeln, daß sie zentralistischen Großprojekten mißtrauen und daher weiterhin auf ein Überleben in überschaubaren Einheiten bauen? M. Rei.

 

Staat = fad. Demokratie heute. Markierungen für eine offene Gesellschaft. Hrsg. v. Helmut Konrad ... Graz: Leykam, 1995, 235S.,