Lernziel Verantwortung

Ausgabe: 2011 | 3

Die Institution Schule ist heute mehr denn je mit der Herausforderung konfrontiert, umfassend auf ein gelingendes, sinnerfülltes Leben vorzubereiten. Was aber heißt das konkret? Unter anderem, dass zunehmend mehr als die Vermittlung kognitiver Wissensbestände, die vielfach einer „Halbwertszeit“ von nur wenigen Jahren unterliegen, gefordert und erwartet wird. „Vergiss es“, heißt es allenthalben, gilt gar als Voraussetzung erfolgreichen Lernens (vgl. dazu DIE ZEIT 2011, Nr. 33 v. 11. 8., www.zeit.de /2011/33/Schulfaecher-Lehrplan und Kommentar Seite 11).

 

Mehr und mehr rückt hingegen die Vermittlung sozialer Kompetenz im Allgemeinen und von zivilgesellschaftlichem Engagement im Besonderen in den Fokus pädagogischer Praxis. Nicht zuletzt kommen aufgrund der Auflösung traditioneller Familienstrukturen, die mit der Pluralisierung von Arbeitsformen und Beschäftigungsverhältnissen Hand in Hand gehen, auf Ganztagsschulen – von der Grundschule bis hin zu Gymnasien – neue Aufgaben zu. Dieser Herausforderung widmen sich zwei im Folgenden vorgestellte Bände.

 

„Lernziel Verantwortung“ informiert über Hintergrund, Kontext und Ergebnisse des Projekts „Zivilgesellschaftliches Engagement durch Service Learning“. Zwischen 2005 und 2007 hatten insgesamt 159 Jugendliche im Alter zwischen 13 und 21 Jahren aus vier deutschen Bundesländern und sechs verschiedenen Schulen die Möglichkeit, in Kooperation mit außerschulischen Partnern der evangelischen Jugendbildung die Übernahme von Verantwortung in sozialen Einrichtungen in Theorie und Praxis kennenzulernen.

 

Das dem Projekt zugrunde liegende, in den USA bereits in den 1980-Jahren entwickelte Modell des „Service Learning“ zielt auf die Einübung von zivilgesellschaftlichem Engagement, die kooperative Bearbeitung realer Probleme sowie die Übernahme von Verantwortung durch Jugendliche und setzt zugleich auf Reflexion, kognitives Lernen und die Entwicklung sozialer und demokratischer Kompetenzen. Die aktive Mitwirkung aller Beteiligten – Schulleitung und Lehrende, außerschulische Betreuer und beteiligte Einrichtungen – ist dabei von zentraler Bedeutung.

 

 

 

Jugendliche hoch motiviert

 

41% der Jugendlichen waren vor Projektbeginn davon überzeugt, „von Anderen etwas zu lernen, neue Erfahrungen zu sammeln und im Umgang mit anderen Menschen sicherer zu werden. Immerhin 13% sahen die Chance, Anderen etwas beizubringen und Andere zu motivieren“ (S. 28).

 

Der teilnehmeraktivierende Ansatz, der wertschätzende Umgang, ein möglichst hohes Maß an Freiwilligkeit und Selbstbestimmung wirkt sich – so berichten die Autorinnen – durchweg positiv auf die Motivation das Selbstwertgefühl der Beteiligten aus.

 

Die Jugendlichen hatten die Möglichkeit, sich an unterschiedlichen sozialen Einrichtungen einzubringen, wobei das Spektrum von Kindergärten, offenen Jugendzentren oder Horten über Eine-Welt-Läden, Alten- und Seniorenheime bis zu Kirchengemeinden und Sozialeinrichtungen wie Suppenküche reichte. (Vorzüge und besondere Erfolge, aber auch Herausforderungen der sechs beteiligten Projekte werden in einem eigenen Kapitel dargestellt.) Zusammenfassend steht nach Ansicht der AutorInnen der Erfolg außer Zweifel: Immerhin 69% der beteiligten Jugendlichen gab nach Projektabschluss an, sich gerne engagiert zu haben; die relativ hohe Unzufriedenheit von 31% führen die Projektbegleiter vor allem auf zum Teil mangelhafte Vorbereitung beziehungsweise Mitwirkung von Partnereinrichtungen zurück. Das Gefühl, ernst genommen zu werden und willkommen zu sein, wird als wesentlicher Erfolgsfaktor angesehen. Zum Teil mehrtägige Bildungsveranstaltungen, bei denen die Jugendlichen die Möglichkeit hatten, ihre Erfahrungen zu reflektieren und voneinander zu lernen, waren zusätzliche, wichtige Teile des Gesamtprojekts.

 

 

 

Alle Beteiligten profitieren

 

Die Kooperation von Schulen unterschiedlichen Typs – beteiligt waren zwei Haupt-, eine Real-, eine Gesamt- und zwei berufliche Schule(n) – mit Einrichtungen der außerschulischen Jugendbildung wird von beiden Seiten als Chance und Herausforderung zugleich gesehen. Beteiligte LehrerInnen wünschten sich vor allem „eine bessere Einbindung der Projekte in die sonstige schulische Arbeit und die Schulstruktur sowie die fundiertere Überprüfung der Lernergebnisse und Auswirkungen des Projekts auf die Jugendlichen“ (S. 132). Für die außerschulischen Projektpartner stellten hingegen der vergleichsweise hohe Zeitaufwand und die Berücksichtigung schulischer Anforderungen eine besondere Herausforderung dar. Beide Seiten betonten jedoch die besondere Chance, durch die Verknüpfung von pädagogischer Praxis und deren Reflexion von und miteinander zu lernen. Die Entwicklung verlässlicher Strukturen in Form „funktionierender gesellschaftlicher Netzwerke zwischen unterschiedlichen Akteuren (Menschen, Organisationen oder Institutionen), die ihre eigenen Strukturen, Vorstellungen und Wünsche haben, sich aber für ein Vorhaben, eine Aufgabe oder eben ein konkretes Projekt miteinander vernetzen“ (S. 135), um das Zusammenspiel von formellem und nicht-formellem Lernen zu verstetigen, wird als vorrangiges Ziel der hier geschilderten Erfahrungen definiert. W. Sp.

 

 

 

Initiative GEMINI

 

GEMINI, die „Gemeinsame Initiative der Träger politischer Jugendbildung“, lotete im Rahmen eines Verbundprojekts unter Federführung des Bundesarbeitskreises „Arbeit und Leben“ und mit Unterstützung der „Stiftung Deutsche Jugendmarke“ Parameter, Hindernisse, Ideen, Hoffnungen und „Hausaufgaben“ der politischen Jugendbildung an Ganztagsschulen aus. Ergebnisse dieses Vorhabens werden an dieser Stelle in insgesamt zehn Beiträgen aus verschiedener Perspektive reflektiert. Albert Scharr verweist einleitend auf „Eigenständigkeit und Eigensinn“ außerschulischer politischer Bildung: demokratische Prinzipien könnten, so der in Freiburg lehrende Soziologe, in schulischen Zusammenhängen nur ansatzweise erfahrbar gemacht werden; schulisches Lernen halte dafür nur begrenzte zeitliche Spielräume bereit; die Lehrerausbildung nehme auf diese Herausforderung bisher noch zu wenig Bedacht – so einige der vorgebrachten Überlegungen. Hans-Jürgen Stolz macht sich im Folgenden über „politische Jugendbildung in der Ganztagsschule zwischen Aktivierung und Normalisierung“ Gedanken. Politisierung sei vor allem als Prozess zu verstehen, der „reflexiv am real existenten freiwilligen Engagement von Jugendlichen ansetzen sollte“ (S. 24) und dabei aufgrund der Tatsache, dass „Jugendliche in der Bevölkerung ungebrochen die am stärksten freiwillige engagierte Altersgruppe darstellen“ (S. 21), auf beträchtliches Potenzial zurückgreifen kann. Ein „aufsuchender Zugang“ sollte insbesondere darauf abzielen, die „Selbstwirksamkeitserfahrungen“ Jugendlicher zu erkunden und zur Grundlage der Theoriebildung zu machen. In einem weiteren Beitrag werden die Ergebnisse einer bundesweiten Evaluation der politischen Jugendarbeit in Deutschland präsentiert und drei zentrale Zielvorgaben derselben benannt: Wissensvermittlung, Urteilsbildung und Partizipation (vgl. S. 33). Mit Blick auf das GEMINI-Projekt wirft der Herausgeber einen kritischen Blick auf Veränderungen in der Bildungslandschaft und verweist dabei auf zwei „neuralgische Punkte: die Konkurrenz der Bildungsstandorte mit jeweils unterschiedlichen pädagogischen Implikationen sowie die außerschulischen Konzepte von ‚politischem Lernen‘“ (S. 40). Viele Jugendliche, so Becker, hatten Schwierigkeiten, sich an Umgangsformen jenseits „schulischer Anweisungskultur“ zu gewöhnen, auch machte die Ambivalenz von Freiwilligkeit und Einbindung in das Schulsystem immer wieder zu schaffen. Zudem zeigten sich im Rahmen der verschiedenen Projekte teils erhebliche Differenzen in der Bereitschaft zur Entwicklung partizipativer Schulkultur(en). Politische Bildung werde künftig zu einem „(hoch) spezialisierten Anbieter, der sich mit Lern-Angeboten an bestimmte Zielgruppen wendet, um diese in die Lage zu versetzen, als ausgebildete ‚Bürgerinnen und Bürger‘ demokratische Teilhabe zu üben“. Dazu gelte es „zu überprüfen, wo neue Anschluss- und Zugangsmöglichkeiten sind, ohne dass sich die Professionalität in Beliebigkeit auflöst“, so Becker (S. 55). Evaluationsergebnisse des Projekts „Politik & Partizipation“ aus Perspektive der beteiligten SchülerInnen, der Teamer, der Schulen sowie der außerschulischen Partner sind Thema von Katrin Riß und Andreas Thimmel, die aus ihren Befunden „Gelingensbedingungen für die Kooperation mit Ganztagsschulen“ ableiten. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, persönliche Netzwerke, funktionierende Kommunikationsstrukturen, Offenheit für die jeweils anderen Arbeitsstrukturen und die Entwicklung eines gemeinsamen pädagogischen Selbstverständnisses werden als wesentliche Voraussetzungen ebenso genannt wie das Prinzip der Freiwilligkeit in der Jugendarbeit. Für die zukünftige Positionierung auf der Bildungsagenda wird zudem „eine stärkere Fokussierung und Wiedererkennbarkeit der politischen Jugendbildung“ empfohlen (S. 81). Dass dazu freilich zusätzliche Ressourcen unumgänglich sind und vor allem Schulen ein höheres Maß an Flexibilität und Kooperationsbereitschaft an den Tag legen müssten, wird in einem weiteren Beitrag wohl zu Recht angemerkt. Besonderen Herausforderungen und Potenzialen der politischen Jugendbildung für Volkshochschulen sowie den einschlägigen Erfahrungen am „Haus am Maiberg“, einem erfahrenen Partner der außerschulischen Bildungsarbeit mit Jugendlichen, sind weitere Beiträge dieses Bandes gewidmet. Es wäre freilich lohnenswert, die darin formulierten Erwartungen einer kritischen Bestandsaufnahme zu unterziehen. W. Sp.

 

 

 

Lernziel Verantwortung. Politische Jungend- bildung und Schule. Hrsg. v. Friedrun Erben ...  Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verl., 2008. 141 S., € 16,80 [D], 17,30 [A], sFr 29,40

 

ISBN 978-3-89974295-4

 

Politik und Partizipation in der Ganztagsschule. Hrsg. v. Helle Becker. Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verl., 2008. 126 S., € 16,80 [D], 7,30 [A], sFr 29,40 ; ISBN 978-3-89974381-4