Key Points nachhaltigen Konsums

Ausgabe: 2009 | 4

„Konsum muss ressourcenleichter werden.“ Darüber herrscht weitgehend Konsens. Die grundsätzliche Diagnose der Endlichkeit der natürlichen Ressourcen und der begrenzten Senkenkapazität der natürlichen Umwelt wird weithin geteilt, „gleich ob man sie positivistisch als Fakt oder sozialkonstruktivistisch als kulturelle Übereinkunft deutet“ (S. 80), so Michael Bilharz in der vorliegenden wissenschaftlichen Analyse über nachhaltigen Konsum. Das Problem liege in der Vielzahl gut gemeinter Ratschläge für ökologischeres Verhalten, die sich nur an den Einzelnen richten, politische Veränderungen jedoch außen vor lassen, und die – das ist für den Autor nicht weniger bedenklich – meist den tatsächlichen ökologischen Nutzen nicht mitteilen. So entstehe eine Beliebigkeit, die nicht selten lediglich der Gewissensberuhigung diene (s. a. Hartmann).

 

Bilharz hinterfragt den Ansatz der Freiwilligkeit und des „guten Vorbilds“ im Hinblick auf das „Kollektivgut“ Nachhaltigkeit. Denn: „Erfolgsmaßstab bei der Realisierung von Kollektivgütern ist das Verhalten aller, nicht das Verhalten einzelner Mitglieder eines Kollektivs.“ (S. 118) Das bedeute aber, dass „nachhaltiger Konsum vom Grundsatz her auf eine vollständige, d. h. 100%-ige Marktdurchdringung und Umsetzung“ (ebd.) zielen müsse. Nachhaltiger Konsum von Einzelnen sei hierzu eine notwendige, aber längst nicht hinreichende Bedingung. Zwei soziale Fallen würden dem Prinzip der Freiwilligkeit entgegenstehen: eine zeitliche, d. h. der Schaden durch nichtnachhaltiges Verhalten tritt zeitverzögert auf, sowie eine räumliche, d. h. Verursacher und Betroffene liegen häufig räumlich weit auseinander. Das Trittbrettfahrerprinzip – verzichte ich auf das Auto, bleibt anderen mehr Platz zum Fahren – bewirkt das Gegenteil der erwünschten Wirkung. „Privatisierung des Nutzens -  Sozialisierung des Schadens“. Eine Förderung nachhaltigen Konsums innerhalb der „falschen Strukturen“ könne wegen des Kollektivgutdilemmas demnach nicht gelingen und „verpuffe“ im wahrsten Sinne des Wortes. „Beiträge für ein Kollektivgut“ müssten daher „auch einen persönlichen Vorteil oder die Nicht-Erbringung einen persönlichen Nachteil nach sich ziehen.“ (S. 122)

 

Warum ist es aber so schwierig, Rahmenbedingungen zu ändern. Bilharz spricht von „wechselseitiger Verantwortungsabschiebung“: Statt einer gemeinsam getragenen  „geteilten Verantwortung“ regiere die „geteilte Unverantwortlichkeit“ (S. 123). Solange Änderungen der Rahmenbedingungen den Gestaltern, d. h. der Politik, nicht einen positiven Nutzen erbringen, solange würden die Rahmenbedingungen nicht geändert. Dies führe zu einem Zirkelschluss: „Das nichtnachhaltige Handeln ändert sich nicht, weil die Anreizstrukturen nicht geändert werden, und die Anreizstrukturen werden nicht geändert, weil sich das Handeln nicht ändert.“ (ebd.) Daher brauche es doch das Vorangehen Einzelner. Für die Wechselwirkung zwischen BürgerInnen und Politik sei jedoch die Art der Kommunikation entscheidend.

 

Billharz plädiert dafür, sich auf die Maßnahmen mit den größten Wirkungen zu konzentrieren. Die „Peanuts“ der vielen kleinen Schritte seien zu vergessen, es gehe um die „Big Points“, die letztlich zu den „Keypoints“ nachhaltigen Konsums führen müssen. Diese identifiziert der Autor im Bereich des Wohnens, der Mobilität sowie der Ernährung. Wobei es darauf ankomme, insbesondere die „kritischen Strukturen“, die nichtnachhaltigen Konsum „am Leben halten“, zu identifizieren und zu verändern. „Strukturen statt Menschen verändern“, müsse das Motto lauten (S. 165). Es gehe daher um eine andere Raumordnung, eine ökologische Wohnbauförderung oder die politische Unterstützung biologischer Landwirtschaft. Wichtig sei – und das ist eine wichtige Perspektive – sein Handeln nicht nur an der „persönlichen Nachhaltigkeitsbilanz“ auszurichten, sondern auch zu fragen, was dieses für die „kollektive Nachhaltigkeitsbilanz“ bringe, wofür etwa politisches Engagement nötig sei. „Nicht nur die persönliche Bilanz, sondern auch die kollektive Bilanz muss stimmen.“ (S. 159) Die Frage lautet „Welchen Beitrag kann und will ich für die Regel- und Ressourcenveränderungen in unterschiedlichen Handlungskontexten leisten?“ (S. 166)

 

P.S.: Der Autor hat im Rahmen seiner aufschlussreichen Dissertation auch Ökoratgeber analysiert und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die meisten in großer Beliebigkeit verharren und politisches Handeln nicht thematisieren. Das vom Rezensenten verfasste Büchlein „Nachhaltig leben“ (2002) bekommt dabei auch ihr Fett ab, auch wenn es vergleichsweise gut abschneidet. Zur Untersuchungsmethode ist freilich kritisch anzumerken, dass die Vorschläge der Publikationen lediglich hinsichtlich Wirkungen auf Energie- und CO2-Einsparungen analysiert werden, Nachhaltigkeit jedoch auch andere Aspekte umfasst wie Menschenrechte, Einhaltung von Sozialstandards bei der Produktion von Waren u. a. m. Nichts desto trotz ein wichtiges Grundlagenwerk, das neue Perspektiven in die leidige Debatte individueller Lebensstiländerungen bringt und deren Politisierung nahe legt. H. H.

 

Bilharz, Michael: „Key Points“ nachhaltigen Konsums. Marburg: Metropolis, 2008. 391 S. (Wirtschaftswissenschaftliche  Nachhaltigkeits- forschung; 4) € 36,80 [D], 37,90 [A], sFr 62,50

 

ISBN 978-3-89518-663-9