Ende der Märchenstunde

Ausgabe: 2009 | 4

„Wenn man heute seinen Einkaufswagen durch die Gänge eines gewöhnlichen Supermarkts schiebt, könnte man auf die Idee kommen, die Weltrettung stünde unmittelbar bevor.“ Damit beginnt Kathrin Hartmann ihr provokantes Buch „Ende der Märchenstunde“. Die Autorin, die zuletzt das Jugendmagazin des Stern „Neon” geleitet hat, geht der Frage nach, „wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt“ und gibt gleich zu Beginn einige Kostproben: „Wer einen Kasten Krombacher-Bier kauft, rettet einen Quadratmeter Regenwald. Der Mineralwasserhersteller Volvic spendiert Brunnenwasser für die Sahelzone, Ritter Sport zahlt pro Tafel 1,4 Cent für Schulmaterial in Afrika, Blend-a-med einen Cent für ein Gesundheitszentrum in einem SOS-Kinderdorf“ (S. 9).

 

Die Journalistin fühlt den Marketingsprüchen des neuen „Befindlichkeitsumweltschutzes“ (S. 17) auf den Zahn, die – so zeigt sie augenscheinlich – häufig nicht mehr seien als „Greenwashing“ (S. 21). Ob „Fliegen für den Regenwald“ (Fluggesellschaft LTU), das Sich-Kleiden mit „ethisch korrekten Pelzen“, „Weltretten“ mit der ersten „klimaneutralen“ Bio-Wurst – die Autorin meldet ihre Zweifel an der Wirksamkeit all dieser Kampagnen an. Sie verweist auf Widersprüche, etwa wenn der Autohersteller Toyota mit dem Hybrid-Fahrzeug „Prius“ wirbt und in Deutschland für jedes verkaufte Auto Bäume pflanzen lässt, zugleich aber riesige Spritfresser-„Geländewägen“ produziert, wenn der Mineralölkonzern BP sich in „Beyond Petrol“ umbenennt, 95 Prozent seines Jahresumsatzes von 25-30 Mrd. Dollar jedoch weiterhin aus der Förderung und Verarbeitung von Öl stammen.

 

 

 

Kritik an Entpolitisierung

 

Hartmann hinterfragt neue „grüne“ Konsumportale wie Utopia.de („Kauf Dir eine bessere Welt“) oder Karmakonsum („Do good with your money“), die ein gutes Gewissen vermitteln, ohne dass man den eigenen Konsumstil grundsätzlich hinterfragen müsste. Dahinter stünden berechnende Geschäftspraktiken. So wird Utopia.de, ein „Showroom“ für Ökoprodukte, von großen deutschen Konzernen gesponsert. Hartmann problematisiert die Kampagnen für Corporate Social Responsibility, die nicht selten allein dazu dienten, Unternehmen ein besseres Image zu verpassen. So haben vor kurzem der Chemiekonzern BASF und der Automobilhersteller VW den „Deutschen Nachhaltigkeitspreis“ erhalten.

 

Ihre Hauptkritik an der neuen „Öko-Lifestyle“-Bewegung wie den LOHAS – die Abkürzung steht für „Lifestyle of Health and Sustainability“ – richtet sich aber gegen die Entpolitisierung: „Indem der Lifestyle-Öko konsumiert und den CSR-Versprechen der Konzerne glaubt, nimmt er den Druck von Politik und Kapital, wirklich etwas zu ändern.“ (S. 20) Es sei ein „Geschäft auf Gegenseitigkeit: Die Unternehmen verkaufen ihm bequemen Genuss ohne Reue, er lässt sie dafür in Ruhe” (ebd.). Der individualistische Konsum diene zu nichts weiter „als der Selbstveredelung; das gute Gewissen ist dabei der neue, bessere Luxus”. (S. 19) Die von der Autorin zitierte „erste internationale Konsumstudie ‘Good Purpose’“ habe erbracht, dass „weltweit 86 Prozent der Befragten“ bereit seien, „ihr Konsumverhalten  zu ändern und andere Marken als bisher zu kaufen, wenn sie dadurch helfen würden, die Welt zu verbessern“ (S. 152). Befunde wie dieser sind für Hartmann der Hauptgrund für die emsigen CSR-Bestrebungen von Unternehmen.

 

 

 

Alternativen sind noch Nischen

 

Das Unbehagen angesichts der Folgen unserer Lebensgewohnheiten münde nicht in eine klare Forderung an die Politik oder gar in kollektives politisches Handeln. Im Gegenteil, alles Negative werde ausgeblendet, der Blick nicht auf die Ursachen der Probleme, sondern „nach innen“ gerichtet. „Wer nur das Gute betont, verschweigt das Schlechte“, kritisiert Hartmann die Kehrseite dieses „geradezu aufreizend naiven positiven Denkens“ (S. 121) und Getöses des„großen gegenseitigen Weltrettungs-Schulterklopfens“ (S. 24).

 

Bei aller Sinnhaftigkeit alternativer Projekte dürfe nicht übersehen werden, dass es sich immer noch um Nischen handle: „Bio“ macht in Deutschland derzeit 4 Prozent des Gesamtumsatzes aus, bei „Fairtrade“ sind es etwa 2 Prozent! (Angaben s. 239 bzw. S. 251) Zudem führe der „Luxus-Konsum mit gutem Gewissen“ in eine neue Zweiklassengesellschaft, denn nur die Besserverdienenden könnten sich leisten, hier mitzuhalten (vgl. Kap. „Die LOHAS und ihre Kinder. Auf dem Weg in eine neue Kastengesellschaft.“, S. 313 ff)

 

 

 

Wiederkehr des Politischen

 

Was ist dagegen zu tun? Hartmann fordert zunächst eine Rehabilitierung der alten Umweltbewegung, der Katastrophismus und Verzichtsmoral vorgeworfen werde, während genau sie es gewesen sei, die die ökologische Frage bewusst und – im Sinne einer „Selfdestroying Prophecy“ (S. 102) – auch manches Schlimmere verhindert habe. Zweitens sei anzuschließen an der grundsätzlichen Kritik am Konsumismus, der ein Zusammenleben jenseits der Warenwelt in den Mittelpunkt stellt(e). Schließlich müssten wir wieder zu einem kritischen öffentlichen Diskurs und zu einem politischen Handeln finden. „Warum vernachlässigen wir unsere demokratischen Bürgerpflichten und überlassen Gesellschaftsdebatten den Marketingexperten und Werbetextern? Wieso haben wir statt gesellschaftlicher Utopien nur utopia.de?“, fragt Hartmann (S. 25) „Und wann, verdammt noch mal, fangen wir endlich an, uns an Bäume zu ketten, anstatt vom örtlichen Autohändler welche pflanzen zu lassen?“, so die Anspielung an die Toyota-Kampagne (Überdies sei CO2-Kompensation durch Bäumepflanzen umstritten. Dem zitierten Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie Ernst-Detlef Schulze zufolge müsse ein in unseren gemäßigten Breiten eingepflanzter Baum 60 Jahre stehen, „bis er der Atmosphäre netto Kohlendioxid entzieht“, S. 164).

 

Hartmann fordert eine öffentliche Diskurskultur, wie sie etwa Attac entfacht, einen kritischen Journalismus – ein Vorbild ist für sie das „Schwarzbuch Markenfirmen“  –, und politische Organisierung von Widerstand. Zweifel hegt die Autorin dabei auch am Trend zu den neuen Internetforen – Stichwort „Öko 2.0“: „Es ist etwas anderes, ob sich 45.000 Menschen entscheiden, Mitglied in einer Partei zu werden, um dort mit anderen ihrer demokratischen Bürgerpflicht politischer Teilhabe nachzukommen, oder ob man sich auf einer Internetseite als ´Wölkchen 83´ registriert, um gelegentlich Kommentare abzugeben.“ (S. 109) In Übereinstimmung mit ihrem Journalistenkollegen Klaus Werner-Lobo (zuletzt „Uns gehört die Welt“) fordert Hartmann, dass wir „wieder Menschen werden und nicht Konsumenten bleiben“ (S. 354). Nicht zuletzt gehe es um das Wiederfinden einer politischen Kultur: „Was es heißt, solidarisch und politisch zu sein – das ist vielleicht die erste Frage, die sich eine individualisierte Gesellschaft stellen muss, um zurück zu einer Gemeinschaft zu finden.“ (S. 357).

 

Hartmann wendet sich ausdrücklich nicht gegen Bewegungen wie „Fair Trade“ oder „Bio-Landwirtschaft“, sondern gegen die Gefahr von deren Missbrauch zwecks Gewissensberuhigung. Ausgezeichnet recherchiert und packend-witzig geschrieben, macht der Report deutlich, dass „Öko“ mittlerweile nicht nur zum großen Geschäft geworden ist, was ja vielleicht noch Sinn machen könnte, sondern zur Verkaufsmasche, die von den realen sozialen und ökologischen Problemen des gegenwärtigen Wirtschaftens im Kapitalismus ablenkt. Ein Buch, das überfällig war! H. H.

 

Hartmann, Kathrin: Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt. München: Blessing, 2009. 384 S., € 16,95 [D], 17,50 [A], sFr 30,90; ISBN 978-3-89667-413-5