Jahrbuch Ökologie 2008

Ausgabe: 2007 | 4

Zum nunmehr sechzehnten und letzten Mal erscheint das „Jahrbuch Ökologie“ in bewährter Form im H. C. Beck Verlag. Als gäbe es den Nachweis zu führen, dass, vereinfacht formuliert, Ökologie – wann, wenn nicht jetzt? – zu einem allgemein beachteten, ja zum vordringlichsten Thema global verantwortungsvoller Zukunftssicherung avanciert ist, zeigen die Herausgeber durch ein wenig mehr an Volumen, vor allem aber durch die Wahl der Themen auch in diesem Band, dass ihnen vor allem zweierlei am Herzen liegt: Erstens, die drängenden Aspekte des ökologischen Diskurses engagiert, sensibel und mutig aufzugreifen, und zweitens zu diesem Zweck AutorInnen zu Wort kommen zu lassen, denen es selbstverständlich ist, fachliche Kompetenz und Verständlichkeit auf hohem Niveau zu vereinen.

 

In den einleitenden „Perspektiven“ setzt sich Günter Altner mit dem „Exzellenzgerangel“ an deutschen Universitäten auseinander und konstatiert, dass die „Ökologiefrage“ von wenigen Beispielen (wie etwa dem „Sustainable University“ Programm in Lüneburg) einmal abgesehen, seit vielen Jahren über gute Absichten kaum hinausgekommen ist. Vor allem die Etablierung und Evaluierung transdisziplinärer Forschung und deren Wechselbeziehung mit außeruniversitären Sektoren der Gesellschaft ließen, so Altner, viele Wünsche offen. Reinhard Loske setzt sich mit „der Wachstumsfrage“ auseinander, die – mit Blick auf derzeit hohem Niveau laufende Konjunkturmotoren einerseits „out“, andererseits aber als Herausforderung zur Umverteilung weltweit (zumindest im Sinn von „vordringlich“) „in“ sei. Es gehe, so der Autor, global um „ehrliche Bilanzierungen“, die die soziale Frage mit jener des Lebensstils zusammenführen.

 

In punkto „Ressourcenfrage“ –  so Stefanie Christmann in ihrer pointierten Analyse – habe sich die dt. Bundesregierung (durchaus im Einklang mit der EU) ganz offensichtlich eine „Imperialismusstrategie“ zu Eigen gemacht. Wirtschafts-, Finanz-, und Entwicklungshilfepolitik dienten zunehmend der Rohstoffbeschaffung. Von einer intelligenten, primär der Ressourcenschonung verpflichteten Perspektive sei man heute hingegen weiter entfernt als noch vor einigen Jahren. Mit der „neuen Lust“, ja gar der „neuen Kunst am Wandern“, die vor allem dem Bedürfnis nach „Kontrasterfahrung“ entspringe, setzt Ulrich Grober zum Abschluss dieses Kapitels einen versöhnlichen Akzent (s. a. PZ 2006/4).

 

Die Schwerpunkte 2008 eröffnen vier Beiträge über (mutmaßliche) Folgen des Klimawandels. Ist das „Klima 2007“ Anlass bloß für einen „Medienkarneval“ oder Auslöser eines politischen Bebens? Welche regionalen Folgen sind v. a. für Deutschland aufgrund der globalen Erwärmung konkret absehbar? Wie wirkt sich der Klimawandel auf maritime Organismen aus? Werden die europäischen Alpen bald ohne Gletscher auf uns herabblicken? In der Tat aktuelle Fragen, auf die, wie zu erwarten, differenzierte und doch klare Antworten gegeben werden.

 

„Von der Natur lernen“ ist das zweite Thema übertitelt, in dem, eher allgemein orientiert, über „Bionik“, die Entwicklung der Technik nach dem Vorbild der Natur, sowie über Pflanzen als nachwachsender Rohstoff informiert und das „Modell Varchentin“ als ländliche Mustergemeinde in der Erschließung nachwachsender Energien im (gar nicht mehr so) neuen Osten Deutschlands vorgestellt wird.

 

Dem Zusammenhang von Kultur und Lebensstil ist ein weiterer Teil der Schwerpunkte gewidmet. Daniel Brocchi, Leiter des Instituts „Cultura21“ in Köln, führt darin die Umweltkrise auf eine Krise der Kultur zurück. Er plädiert für einen anthropologisch soziologischen Kulturbegriff, um – mit Pierre Bourdieu – dessen „strukturierte und strukturierenden Strukturen“ im Kontext des Nachhaltigkeitsdiskurses offen zu legen (S. 115). Demnach ziehen Kulturen Grenzen, sorgen für die Kohäsion eines sozialen Systems und regulieren seinen Austausch mit der Umwelt“ (S. 116). Im Hinblick auf die Postulate einer „nachhaltigen Entwicklung“ skizziert Brocchi die Parameter einer „Kultur der Nachhaltigkeit“. In ihr wären Erfahrung und Umweltwahrnehmung wichtiger als Modelle, hätte Qualität mehr Bedeutung als Quantität, kämen Mehrdimensionalität und systemisches Denken zum Tragen, würden Kreativität, Lernen und Kommunikation, aber auch Vielfalt, Toleranz, Gerechtigkeit und Kooperation eine bedeutend(er)e Rolle einnehmen. In einer erst zu entwickelnden „kulturellen Strategie der Nachhaltigkeit“ (S. 123ff.) käme Kunstschaffenden die Rolle von „change agents in sustainability“ zu, da sie Nachhaltigkeitsziele vielfach thematisieren und ihre Werke mit dazu beitragen könnten, Emotionen zu wecken und Visionen zu entwickeln. Wenn die ökologische Krise in ihrem Kern eine Krise der Kultur sei, würden auf Grundlage neuer Kommunikations- und Organisationsformen letztlich nur „kulturelle Lösungen“ zu deren Überwindung beitragen, so D. Brocchi. Die Einladung zur Erprobung ökosozialer Lebensstile, denen weitere Texte in diesem Kapitel gewidmet sind, lässt sich gewissermaßen als Kommentar zu diesen grundsätzlichen Überlegungen lesen. Verschiedenen Aspekten von Umweltprüfungen ist das abschließende vierte Kapitel der „Schwerpunkte“ gewidmet.

 

Darüber hinaus gibt es in gewohnter Form Beiträge zur „Umweltgeschichte“ sowie eine bunte Palette von insgesamt zehn Befunden unter dem Titel „Exempel, Erfahrungen, Ermutigungen“ (von einer Simultationsbefragung zum Thema Nanotechnologie, über Neuerungen der Finanzbranche im Zeichen des Klimawandels bis hin zum Modell der Umweltökonomischen Gesamtrechnung). Mehr oder minder kostbare Kleinigkeiten und Kuriositäten sind unter der Rubrik „Spurensicherung“ zusammen getragen, zudem werden in gewohnter Weise „Vor-Denker“ in Erinnerung gerufen und zu guter Letzt auch Umweltinstitutionen präsentiert.

 

Den Herausgebern, den AutorInnen und dem Verlag ist für dieses Jahrbuch (den Band 2008 und die gesamte Reihe) zu danken. Es hat seit 1991 den Umweltdiskurs im deutschen Sprachraum wie kein anderes Periodikum auf verlässlich hohem Niveau in einer wohltuenden Ausgewogenheit von Wissen, Leidenschaft und Ironie begleitet und befördert. Für einen Neuanfang beim Hirzel Verlag sind die Weichen gestellt: Alles Gute für die weitere Reise! W. Sp.

 

Jahrbuch Ökologie 2008. Hrsg. v. Günter Altner … Red.: Udo E. Simonis. München: C. H. Beck, 2007. 320 S., € 14,95 [D], 15,40 [A], sFr 26,20

 

ISBN 978-3-406-54817-8