Hightech-Kapitalismus in der großen Krise

Ausgabe: 2012 | 2

Wolfgang Fritz Haug versucht mittlerweile seit mehr als 40 Jahren die Entwicklung des Kapitalismus aus marxistischer Sicht zu verstehen. Er hat sich dabei eine treue Leserschaft erarbeitet, als Herausgeber des Magazins „Das Argument“ schrieb er dabei gegen dogmatische Lesarten an.

 

Haugs Ruf als undogmatischer Marxist ist für eine junge Generation von Leserinnen und Lesern nicht sofort zu erschließen. Was heute selten geworden ist, man findet es bei ihm: Aktuelle Entwicklungen werden mit Zitaten aus den Werken von Karl Marx erklärt. Haug bleibt dabei, er versucht die bestehende Gesellschaft und, in dem vorliegenden Buch, ihre ökonomische und geopolitische Entwicklungen marxistisch zu bestimmen. Wenn die Marx-Zitate auch auf Literatur verweisen, die vor rund 150 Jahren geschrieben wurden, so bedeutet das nicht, dass Haug nicht auf aktuellem Stand ist. Er rezipiert technische Entwicklungen, wirtschaftliche Verschiebungen, politische Konflikte und theoretische Debatten der Gegenwart und verarbeitet diese Informationen, indem er sie in das Raster der marxistischen Gesellschaftskritik einordnet. Das Ergebnis ist ein kompakter Blick auf unser zeitgenössisches Wirtschaftssystem, er nennt des den Hightech-Kapitalismus.

 

Den Begriff hat Haug bereits vor gut zehn Jahren entwickelt. Das nun vorliegende Buch versucht die aktuelle Wirtschaftskrise innerhalb dieser Analyse zu verorten. Haug kommt dabei zum Schluss, dass die aktuelle Krise keine Krise des Finanzsektors allein ist, geschweige denn etwas mit moralischen Fehlern von Personen aus dem Finanzsektor zu tun hat. Spekulationsblasen gebe es im Kapitalismus immer wieder. Haugs Befund ist klar gibt Anlass zur Analyse: „Im Mehrfachparadox des hier umrissenen Gesamtszenarios kommt die Überakkumulation zum Vorschein. Ein Überangebot von Geld, das sich in zinstragendes Kaptal verwandeln will, hatte die Grenzen realen Verleihens an `kreditwürdige´ Schuldner mit Hilfe der neuen Finanzierungsinstrumente gesprengt, die das Risiko statistisch behandeln und weltweit verteilen, sodass der Kreditkrach zu einem Weltfinanzkrach werden musste. Nicht nur die neoklassische Orthodoxie, auch viele ihrer neokeynesianischen Kritiker neigen dazu, die Augen davor zu verschließen, dass das Grundproblem eines der ´Realwirtschaft´ ist.“ (S. 119) Die Stagnation der Realwirtschaft führt zum Fehlen von Investitionsprojekten, erkennbar auch daran, dass der Wachstumswettbewerb auf den internationalen Märkten durch einen Verdrängungswettbewerb abgelöst wird. Das sei charakteristisch für Situationen von Überakkumulation und fehlender Massenkaufkraft.

 

Im zweiten großen Teil des Buches setzt sich der Autor ausführlich mit der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen China und den USA auseinander. Haug bezieht sich (auch) hier auf die Krisentheorien von Rosa Luxemburg. Luxemburg hatte argumentiert, dass der Kapitalismus, durch Wettbewerb getrieben, immer neue Kapitalverwertungsmöglichkeiten benötige. Dies führe dazu, dass die gesamte Welt der Verwertungslogik des Kapitalismus unterworfen werde. Weil die Welt aber endlich sei, werde es – auch unter Berücksichtung der Schaffung neuer Bedürfnisse – zu dem Punkt kommen, an dem Ausweitung zum Stocken kommt. Haug schreibt nun: Die USA „waren der vielberedete ´Konsument letzter Instanz´, ein lasterhafter Wohltäter des Weltkapitalismus, der für sich und alle anderen durch Verschuldung das luxemburgsche Akkumulationsproblem löste, durch eine Politik der Kreditverbilligung sich und seiner Bevölkerung die Verschuldung erleichterte und die Krise durch immer weitere Dehnung der Kreditkette hinausschob bis zu dem Punkt, an dem sie riss und jenen in den Genen des Kapitalismus angelegten Sachverhalt zu Tage treten ließ, für den Marx den Begriff ´Überakkumulation von Kapital´ geprägt hat – mit der fürs erste unvermeidlichen Folge `unbeschäftigten Kapitals auf der einen und unbeschäftigter Arbeiterbevölkerung auf der andren Seite´.“ (S. 273) S. W.

 

Haug, Wolfgang Fritz: Hightech-Kapitalismus in der großen Krise. Hamburg, Argument-Verlag, 2012. 366 S., € 19,50 [D], 20,10 [A], sFr 27,30

 

ISBN 978-3-88619-339-4