Deutschland ist und bleibt ein beliebtes Thema einerseits für publizistischen Pessimismus, andererseits für Jubelstimmung und Muntermacher. So ist zu vernehmen, dass die Wirtschaft angeblich wieder boomt und auch sonst sich seit der Fußball-WM 2006 vieles zum Besseren bewegt. Gleichzeitig folgen „Wahlergebnisse, die keine Regierung mehr hervorbringen (...) auf Politik, die keine Ergebnisse mehr hervorbringt“ und Weltkonzerne wie Nokia, BMW und Siemens kehren Deutschland den Rücken. Die Mächtigen, so die Autoren, „sehen paralysiert zu, wie die Herausforderungen schneller wachsen, als sie diese meistern können“ (vgl. S. 1). Ein Land, das vor 20 Jahren unangefochten zu den wirtschaftlich stärksten Nationen der Welt gehörte, findet sich heute meist im hinteren Drittel der OECD-Statistiken wieder. Eine Zukunftsstrategie fehle trotz boomender Wirtschaft nach wie vor.
Dies soll sich mit dem vorliegenden „Geschäftsplan Deutschland “ ändern, der versucht, Deutschlands Zukunft bis 2033 wie die eines Unternehmens zu planen. Dabei werden u. a. Alternativen zur kameralistischen Haushaltskonsolidierung aufgezeigt. Im Mittelpunkt stehen der Mensch und dessen Wohlstand. Der Weg dorthin führt nach Ansicht der Autoren (sie gründeten im Jahr 2000 den Think Tank „Deutschland Denken“) über das „Humanvermögen“, Bildung und Ausbildung. Nicht „Sparen und Verteilen“ lautet die Devise, sondern klug und strategisch investieren. „Wir können uns die Zukunft nicht ersparen“, wir können uns nicht gesund schrumpfen, heißt es da im Vorwort, Deutschland müsse und könne sich vielmehr „gesund wachsen“ – primär durch Investitionen in Humanvermögen.
„Geschäftsplan Deutschland “ bietet im Gegensatz zu unzähligen soziologischen Ratgebern, wie die Autoren im Vorwort selbstbewusst, aber um so mehr auch hinterfragenswert, betonen – ein Patentrezept: Nicht Einkommen, sondern v. a. Bildungs- und Partizipationschancen müssten erhöht werden. Insgesamt kommen die Autoren „zu dem Ergebnis, dass der Lebensstandard aller sich bis 2033 mehr als verdoppeln, die Wirtschaft 3,3 Prozent pro Kopf und Jahr wachsen und 10.500 Milliarden Euro in Humanvermögen investiert werden können“ (S. 2). Zwar wurden inzwischen einschneidende Reformen (wie z. B. Rentenkürzungen, Hartz IV) umgesetzt, dennoch hat dies nach Ansicht der Autoren nicht zur Entlastung auf dem Arbeitmarkt und schon gar nicht zur Anhebung des durchschnittlichen Lebensstandards geführt. Es brauche also Lösungen, die nicht nur richtig, sondern auch politisch umsetzungsfähig und vor allem vermittelbar sind.
Ein Unternehmen in vergleichbarer Lage würde von den Eigentümern veranlasst, einen Geschäftsplan zu erstellen, um das Kerngeschäft abzusichern. Für den Staat, so die Autoren, sei dies die Sicherung des Wohlstand [bzw. des Wohlergehens, A. A.] seiner Bürger: Er muss Freiheit und Sicherheit nicht nur heute, sondern auch in Zukunft gewährleisten.
Die Autoren fordern deshalb bis 2033
– die Verdopplung der Akademikerarbeitsplätze,
– eine Million qualifizierter Einwanderer anstatt nur 20.000 heute,
– eine Vervierfachung der Hochschulabsolventen und der Weiterbildungen sowie
– insgesamt 10 Millionen mehr Erwerbstätige.
Konkret müssen wir lebenslang in unsere Bildung und Ausbildung investieren. Geeignete Institutionen für lebenslanges Lernen gibt es derzeit nicht oder zu wenig. Es mangelt hauptsächlich an der Umsetzung neuropädagogischer Erkenntnisse, die belegen, dass 40-Jährige anders lernen als 20-Jährige und diese wieder anders als 60-Jährige. Für die Autoren ist es geradezu widersinnig, die Kapazitäten an den Hochschulen an Budgetvolumen zu koppeln. „Vielmehr muss die Nachfrage nach Humanvermögen die Kapazität und diese das Budget bestimmen, denn gemessen an ihren Erträgen sind die Investitionskosten für Hochschulausbildung gering.“ (S. 134)
Die Berechnung der Erträge zeigt, dass die Investition in Humanvermögen schon dadurch gerechtfertigt ist, dass ein promovierter Akademiker durchschnittlich mit 43 Jahren in seinem Erwerbsleben schon genauso viel verdient hat wie der Nicht-Promovierte bis zum selben Lebensjahr und er wird bis zum Ende seines Erwerbslebens das Doppelte verdienen. Für den Staat ist ein promovierter Akademiker auch insofern lukrativ, als er von ihm statistisch 2.023 Euro monatlich an Steuern und Abgaben erhält, während er an Ungelernte 255 Euro an Transferleistungen zahlen muss.
Der notwendige Strukturwandel hin zu noch mehr Dienstleistungsarbeit zeigt, am Beispiel eines Bäckers verdeutlicht, dass selbständige Handwerker vor allem dann ökonomisch reüssieren, wenn sie sich auf hochwertige Produkte spezialisieren.
Die Vorschläge zu Deutschlands Zukunftsplanung mit dem Ziel, den schon stattfindenden „Abstieg in die Mittelmäßigkeit“ aufzuhalten, sind insgesamt inspirierend und von „erfreulicher Zuversicht“ getragen, wie Gerd Habermann in seiner Rezension in der Neuen Zürcher Zeitung vom 25. 7. 2008 hervorhebt.
Man fragt sich, warum der hier vorgeschlagene „Geschäftsplan“ nicht längst in Politik und Wirtschaft auf fruchtbaren Boden stößt. A. A.
Ederer, Peer; Schuller, Philipp; Willms, Stephan: Geschäftsplan Deutschland. Stuttgart : Schäffer-Pöschel, 2008. 276 S., € 24,95 [D], 27,95 [A], sFr 43,70
ISBN 978-379102-730-2