Wirtschaft vor dem Abgrund? Wege aus der Rezession

Ausgabe: 1994 | 1

Folgen sieben fetten Jahren nun sieben magere, und wie sind sie zu bewältigen? Zwei Gewerkschaftler, einige Politiker, in der Mehrzahl aber Vertreter aus Wirtschaft und Industrie nehmen Steilung zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland. Der Grundtenor aller Beiträge: Die Krise ist zugleich eine Chance. Ähnlich sind auch die Antworten: Deutschland darf nicht im Maschinenzeitalter steckenbleiben und muss (noch mehr) in neue Technologien investieren: Halbleiter, Computer, Unterhaltungselektronik, Gentechnik, neue Werkstoffe, Luft- und Raumfahrttechnik sowie Solarenergie werden als neue Zukunftsmärkte angesprochen. Als überzeichnend kritisiert wird die öffentliche Panik vor der Gentechnik sowie die rigiden gesetzlichen Bestimmungen.

Einig sind sich die Unternehmer über die zu hohen Produktionskosten in Deutschland, das dabei sei, sich aus dem Weltmarkt „herauszupreisen". Nur Lohnkostensenkungen sowie eine Verlängerung der Maschinenlaufzeiten (erreichbar durch Arbeitszeitflexibilisierung) könnten hier abhelfen. Überzogen und mittelfristig nicht mehr finanzierbar sei auch das soziale Sicherungssystem (besonders die neue Pflegefallversicherung findet scharfe Ablehnung). Die Auslagerung von Produktionen niedriger Fertigungsstufe in Billiglohnländer wird als notwendig und sinnvoll erachtet, um am Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben. Mehrfache Kritik erfährt das gegenwärtige Hochschulsystem: Verkürzung der Ausbildungszeiten, Einführung von Studiengebühren sowie leistungsorientierte Bezahlung der Professoren sind einige der Änderungsvorschläge.

Dem letzten der Runde, dem Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans Peter Stihl, war es vorbehalten, auf die globalen Umweltgefahren sowie auf die ungerechten Weltwirtschaftsbeziehungen gegenüber der Dritten Welt einzugehen. Er plädiert für wirklichen Freihandel, also die Öffnung der Industrieländer für Güter der Dritten Welt. Denn Entwicklungshilfe sei "ein scheinheiliges Behandeln von Symptomen."  Die hier zusammengetragenen Beiträge vermitteln unverblümt einen klaren Interessensstandpunkt, der anzeigt, an welchen Linien die politischen Auseinandersetzungen der nächsten Jahre (neue Verteilungskonflikte, Umweltauflagen) stattfinden werden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen - ein Unternehmer stellt sein Mitarbeiterbeteiligungsmodell vor - bleiben die Vorschläge dem herkömmlichen Wirtschaftsdenken verhaftet.

H.H.

Wirtschaft vor dem Abgrund? Wege aus der Rezession.

Hrsg. v. Margit Wertmer Zürich: Orell Füssli, 1993. 233S., DM 39,80 / sFr 36,60 / öS 311,-