Andreas Fulda

Germany and China

Ausgabe: 2025 | 2
Germany and China

Man sollte sich von der unnötig biederen Gestaltung dieses schmalen Bändchens nicht abschrecken lassen. Dessen Autor, Andreas Fulda, lehrt an der University of Nottingham im Bereich Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen. Sowohl akademisch als auch in der Öffentlichkeit tritt er mit scharfer Kritik an die Kommunistische Partei Chinas, deren Akteure und Praktiken heran, richtet jedoch ebenso eine deutliche Kritik an den Westen im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen. In Interviews, Artikeln und seinem jüngst erschienenen Werk „The Struggle for Democracy in Mainland China, Taiwan and Hong Kong“ (Routledge 2020) geißelt er die Naivität, Hasenfüßigkeit und Kurzsichtigkeit von Entscheidungsträger:innen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft an. Eine hervorragend recherchierte und leidenschaftlich vorgetragene Synthese seiner bereits vielfach geäußerten Ansichten legt Fulda nun mit dem vorliegenden Band vor.

Ausgehend von der Etablierung seiner eigenen Positionalität innerhalb des Diskursfeldes in Kapitel 1, beginnt er Buchkapitel 2 mit einer Analyse der strategischen Kultur Deutschlands während der Merkel-Ära (2005–2021) und einer kritischen Betrachtung der Annahmen, die das außenpolitische Verhalten Deutschlands unter Schröder (1998–2005) und Merkel prägten. Im Zentrum steht die Dekonstruktion von Frank-Walter Steinmeiers Konzept der „Annäherung durch Verflechtung“. Das Kapitel schließt mit Überlegungen zur Neigung führender deutscher Politiker:innen, Verantwortung nach Brüssel zu verlagern.

Kapitel 3 gibt einen historisch fundierten Überblick über den Kampf der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gegen interne und externe Gegner:innen. Es beginnt mit einer Diskussion der strategischen Kultur Chinas und der Legitimitätsfrage der KPCh. Danach werden die Reform- und Öffnungsperiode (1978–2012) mit der autoritären Wende unter Xi Jinping (seit 2012) verglichen. Es folgen Ausführungen zu Machtausübung, Kampfkonzepten und der Einflussnahme der KPCh auf liberale Demokratien.

In Kapitel 4 wird argumentiert, dass die vier deutschen Kanzler:innen  Kohl, Schröder, Merkel, Scholz eine pragmatische Politik verfolgten, die kurzfristige wirtschaftliche Vorteile über langfristige industrielle Wettbewerbsfähigkeit und demokratische Resilienz stellte. Weiter argumentiert Fulda, dass ab Mitte der 1990er-Jahre die Chinapolitik de facto an die Privatwirtschaft ausgelagert wurde. Vorsitzende des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft lobbyierten für eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China und ignorierten oder diskreditierten dabei Bedenken über Chinas Demokratie- und Menschenrechtsdefizite. Besonders kritisch wird die Rolle des ehemaligen Kanzlers Schmidt betrachtet, der in den frühen 2000er-Jahren als elder statesman die Interessen der KPCh unterstützte.

Kapitel 5 beleuchtet, wie Wahrnehmungen, Slogans und Paradigmen die deutsche Außenpolitik in den letzten 30 Jahren geprägt haben. Es analysiert, wie Politiker:innen, Industrielle, Journalist:innen und Wissenschaftler:innen den Slogan „Wandel durch Handel“ interpretierten. Auf Basis einer umfassenden Diskursanalyse identifiziert das Kapitel konzeptionelle Fehler von „Wandel durch Handel“ und seinem Vorgänger „Annäherung durch Verflechtung“. Im zweiten Teil des Kapitels wird erklärt, wie das Konzept der „Punctuated Equilibrium Theory“ (PET) von Baumgartner und Jones genutzt werden kann, um lange Phasen der politischen Stagnation und plötzliche Veränderungen in der deutschen Chinapolitik zu analysieren.

Kapitel 6 beginnt mit der Analyse des unerwarteten Scheiterns der deutschen Solarindustrie. Ein Schwerpunkt liegt hier auf den Interessenskonflikten in der Privatwirtschaft. Im zweiten Teil wird die Verwicklung von Volkswagen in China beleuchtet, einschließlich der umstrittenen Fabrik in Ürümqi und des Problems der Zwangsarbeit. Das Kapitel analysiert auch die Auswirkungen des neuen Lieferkettengesetzes und die öffentliche Debatte über Entkopplung, Diversifikation und Abhängigkeit von China.

Kapitel 7 untersucht, wie die deutsche Regierung auf die verstärkten chinesischen Übernahmen deutscher Unternehmen reagiert hat. Als Beispiel dient die Übernahme der Kuka Roboter GmbH im Jahr 2016, die zu Verschärfungen des deutschen Außenwirtschaftsgesetzes führte. Im zweiten Teil wird das Dilemma um Huawei thematisiert, die damit verbundene Sicherheit der 5G-Infrastruktur und die Vertrauenswürdigkeit chinesischer Unternehmen.

In Kapitel 8 wird untersucht, wie Deutschland seit den 1980er-Jahren seine Entwicklungshilfe für China genutzt hat, um sozioökonomische und politische Veränderungen zu fördern. Fulda kritisiert die Instrumentalisierung der deutschen Entwicklungsagentur GIZ durch den chinesischen Parteistaat. Er skizziert, wie langsam die deutsche Regierung auf Anzeichen von Vereinnahmung reagierte. Der zweite Teil des Kapitels analysiert den öffentlichen Diskurs über Prinzipien und Praktiken der internationalen Zusammenarbeit mit China, insbesondere im Hinblick auf den Aufstieg des Sicherheitsapparats unter Xi Jinping.

Kapitel 9 beginnt mit einer Analyse der Repression der chinesischen Demokratiebewegung von 1989 und der daraus resultierenden Waffenembargos der EU. Ein Schwerpunkt liegt auf den Schwierigkeiten bei der Kontrolle von Dual-Use-Gütern. Im zweiten Teil beleuchtet Fulda kritisch die deutsche Haltung gegenüber Taiwan, insbesondere im Kontext der Indo-Pazifik-Strategie seit 2020.

Kapitel 10 thematisiert Deutschlands halbherzigen Schutz der akademischen Freiheit gegenüber der KPCh. Fulda führt hier eine engagierte Debatte über die deutsche Sinologie und die Gefahren taktischer Kompromisse in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit China. Dabei enthüllt er auch Risiken unregulierter Kooperationen, die investigativer Journalismus offenlegen konnte.

Kapitel 11 dieses bemerkenswerten Bandes schließt mit acht Empfehlungen, um Deutschlands Verflechtung mit autokratischem China zu lösen: 1. Überwinden von deutscher Angst, 2. Ehrlichkeit über die Verflechtung mit China, 3. Lernen der Sprache der Macht, 4. Realistisches Bild vom chinesischen Parteistaat, 5. Stärkung des Auswärtigen Amts gegenüber dem Kanzleramt, 6. Reduktion von Lobbyismus, 7. Einführung von Investitionskontrollen und 8. Entwicklung einer Industriepolitik für Deutschland und Europa. Diesem immens wichtigen Buch sei eine deutsche Übersetzung zu gönnen.