Thomas Fuchs

Verkörperte Gefühle

Ausgabe: 2025 | 3
Verkörperte Gefühle

Mit den Gefühlen ist es so eine Sache, einerseits werden sie gesellschaftlich zunehmend „als unmittelbar ‚gefühlte Wahrheit‘, die sich der intersubjektiven Überprüfung und dem Abgleich verschiedener Perspektiven entziehen zu können glaubt“ (S. 7) behandelt und andererseits sind Gefühle in der Sphäre des Privaten, Subjektiven angesiedelt, streng getrennt von der rationalen, quantifizierbaren Außenwelt. Diese dualistische Trennung von affektiver Innenwelt und gefühlsneutraler Außenwelt lässt sich dem Karl-Jaspers-Professor für Psychologische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie, Thomas Fuchs zufolge auf die „neuzeitliche ‚Entzauberung des Kosmos‘ [zurückführen, Anm.], die naturwissenschaftliche Umdeutung der Welt verlagerte nach und nach alle qualitativen und affektiven Erfahrungen in das Innere des Subjektes und ließ nur eine rein physikalische, quantifizierbare Außenwelt zurück.“ (S. 8). Diese Sichtweise wurde von der Emotionspsychologie vorangetrieben, welche Gefühle als Form der Wahrnehmung äußerer Reize, die sich auch in körperlichen Zuständen manifestieren können, behandelt. Weiterhin verstärkte die Neurobiologie die strenge Trennung durch die Verortung von Gefühlen als ausschließlich im Gehirn verankerte Prozesse. Mit dem Buch „Verkörperte Gefühle. Zur Phänomenologie von Affektivität und Interaffektivität“ stellt Thomas Fuchs eine gegensätzliche Theorie vor, welche er unter den drei Punkten: 1) affektives In-der-Welt-Sein, 2) affektive Verkörperung und 3) Interaffektivität zusammenfasst. Diese Konzeption ist keinesfalls neu, vielmehr hat die Verkörperung der Emotionen den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten zunehmend Bedeutung in diversen Disziplinen erlangt. Dass wir immer im Modus eines affektivem In-der-Welt-Sein sind, bestätigt die simple Erfahrung, dass unsere Empfindungen immer auch von Situationen oder sogar Dingen beeinflusst werden, so können auch Dinge auf uns bedrohlich oder anziehend wirken und unsere Gefühlswelt beeinflussen. Affektive Verkörperung meint die körperlichen Veränderungen, welche Gefühle in unseren Körpern hervorrufen. So drückt sich etwa das Gefühl der Angst auch körperlich in Form von Enge und Herzrasen aus. „Gefühle bedeuten sowohl leibliches Sich-Spüren als auch Berührt- oder Affiziertwerden von der Situation in übergreifender Einheit“ (S. 12). Schließlich bleibt noch die Interaffektivität, also die wechselseitige Beeinflussung zwischen Menschen aufgrund deren körperlichen Ausdrücken, wie etwa Gestik und Mimik. Dieses Wechselspiel führt zu einem kreisförmigen Prozess, woraus eine „primäre Empathie, ein unmittelbares Gefühls- und Intentionsverstehen durch zwischenleibliche Resonanz“ (S. 13) entsteht.

Im ersten Teil des Buches verteidigt Fuchs seine Forderung nach einer ganzheitlichen Perspektive auf das menschliche Erleben, das sich eben nicht vom Körperlichem trennen lässt und als dessen Basis er das Lebensgefühl, also ein Selbstgewahrsein definiert. Das Herzstück des umfassenden ersten Abschnittes bildet der Gefühlskreis, welcher die Zusammenhänge zwischen Leib und Gefühl modellhaft darstellt. Emotionen sind, wie bereits dargestellt, keine isolierten Phänomene, sondern werden von unserer Umwelt beeinflusst, welche selbst affektive Qualitäten aufweist. Die auftretenden Emotionen wiederum führen zu körperlichen Reaktionen (affektive Komponente) welche die Wahrnehmung des Gefühls (emotive Komponente) weiter verstärken können. Die Folgen dieser Wechselseitigkeit sind bemerkenswert, so beschreibt der Autor etwa den Einfluss von Botox Injektionen in die Stirnmuskulatur. Damit werden nicht nur Falten geglättet, durch das Verhindern von Stirnrunzeln wird auch das Verständnis von Kritik beim Lesen von Texten gemindert, da die dazugehörige Mimik fehlt. Allerdings lässt sich ein ähnlicher Zusammenhang bei Botoxbehandlungen auch zur Bekämpfung von Depressionen feststellen.

In den folgenden Kapiteln geht der Experte auf diverse Phänomene wie Ekel, Scham, Angst oder auch Empathie ein. So wird aufgezeigt, warum wir Menschen zur Empathie fähig sind aber auch, wo und warum empathische Empfindungen an ihre Grenzen stoßen. In der Unterscheidung von primärer und kognitiv erweiterter  Empathie  werden eben diese Grenzen deutlich: während die oben beschriebene primäre Empathie basaler Natur ist und auf direktes körperliches Verhalten anderer sowie die eigenleibliche Resonanz zurückzuführen ist, erfordert die kognitiv erweiterte Form von Empathie eine bewusste Perspektivenübernahme,  was mit Blick auf der Einstellung gegenüber Fremden Herausforderungen mit sich bringt: „Man könnte diese Dialektik auch so ausdrücken, dass es gerade die außergewöhnliche soziale Orientierung von Menschen ist, die einer universellen Ausdehnung von Empathie entgegenwirkt – nämlich ihre Orientierung an der Primärgruppe“ (S. 181).

Zusammenfassend bietet das gut 400 Seiten umfassende Werk von Thomas Fuchs einen sehr guten Einblick in die Genese von Emotionen und ist untermauert durch zahlreiche Querverweise auf theoretische Grundlagen und Forschung, welche hier selbstredend nur überblicksartig dargestellt wurden.