Fußballspieler:innen leben in einer ganz anderen Welt als ihre Fans. Die finanzielle Ungleichheit zwischen den Vereinen lässt keine fairen Meisterschaften mehr zu. Vereine werden wie beliebige Produkte verkauft. Autoritäre Regime verwenden Vereine als Mittel ihrer Public Relations. Die Tradition vieler Fußballvereine wird mit Füßen getreten. Das sind einige der wichtigsten Beschwerden über den aktuellen Zustand des Fußballsports. Alina Schwermer hat sich die Frage gestellt, wie denn eine andere Zukunft des Fußballs aussehen könnte.
Eine Reform des Fußballsports
Das Buch Futopia ist die systematischste Darstellung der aktuellen Debatten über eine grundlegende Reform des Fußballsports. Und das Bemerkenswerteste ist, dass die Autorin es sich nicht in der Anklage gegen den Status Quo bequem macht, sondern die Alternativen durchdekliniert. Und wenn man das macht, merkt man, dass diese manchmal besser klingen als sie funktionieren würden und vor allem: Dass nicht jede Kritik am Status Quo mit jeder anderen vereinbar wäre. Ist die Verteidigung der Tradition(svereine) wirklich vereinbar mit der Idee der Chancengleichheit mit neuen Klubs? Ist die Ablehnung der Superleague manchmal auch eine Ablehnung von mehr Internationalität? Ist die Sehnsucht nach dem „alten Tribünenerlebnis“ vereinbar mit dem Wunsch nach Geschlechtergerechtigkeit? Schwermer geht diesen Fragen nicht aus dem Weg, sie zeigt auf, wo man sich entscheiden müssen wird. Einer von vielen Vorschlägen: „Warum fordern wir nicht dies: keine Ausrichtung mehr von Großturnieren durch einzelne Nationalstaaten. Sie sollen keine Chance mehr bekommen, kitschige Folklore-Propaganda zu betreiben, während Herrscher:innen und Präsident:innen sich selber bewerben und ihre Bevölkerung durch gigantische Projekte belasten.“ (S. 338)
Alternative Ideen
Neben dieser Klarheit ist die Diskussion der vielen alternativen Ideen der zweite bemerkenswerte Teil des Buches. Kaum wo findet man so kompakt so viele Vorschläge klar vorgestellt und klug diskutiert. Was spricht für und gegen Gehaltsobergrenzen im Profisport? Wie kann man verhindern, dass die besten Spieler immer zu den reichsten Vereinen wechseln? Wie macht das die US-amerikanische National Football League? Schwermer zeigt auch ein spannendes Punktesystem aus dem australischen Frauen-Rugby auf. Jede Spielerin wird mit Punkten nach ihrer Stärke bewertet (Nationalspielerinnen, Spielerfahrung in der obersten Liga, usw.) . Jeder Verein darf nur Spielerinnen mit einem bestimmten Gesamtpunkte-Score im Team haben. Hat man zu viele gute Spielerinnen, muss man welche abgeben.
Wie stark sollen die Einnahmen im Fußball umverteilt werden? Das geschieht ja teilweise mit den Fernsehgeldern, aber einst gab es das Prinzip, dass die Gastmannschaft immer 20 Prozent der Eintrittsgelder erhielt. Was würde das bedeuten? Oder würde es schon reichen, wenn jeder Verein nur eine bestimmte, niedrige Zahl von Spieler:innen in seinem Kader haben darf, er nicht einen zu großen Anteil der besten Fußballer:innen verpflichten und auf der Ersatzbank oder Tribüne sitzen lassen kann? In Deutschland ist gesichert, dass 50+1 Stimme der Profifußballabteilung immer dem Sportverein gehört. Aber ist dieses System so gut, wie man glaubt? Müsste man nicht noch weitere Schritte setzen, dass diese Stimme des Vereins mit den Stimmen der Investoren mithalten kann? Und brauchen wir im Fußball wirklich diese Pyramidenstruktur von unten nach oben? Könnten wir uns eine Galaxie der Ligen vorstellen. Eine Liga für die Ultrà-Kultur mit Pyrotechnik und Stehplätzen, eine Disney-Liga mit Maskottchen für Kinder und Halbzeitprogramm, eine Liga für politisch verfeindete Gruppen, eine Mixed Liga, in der Frauen und Männer zusammen spielen? Für Schwermers Buch typisch: Sie zeigt immer auch alle Gegenargumente auf, die ihr einfallen. Zum Beispiel: „Kleine Galaxien laufen Gefahr, nur dieselbe Klientel anzuziehen, es gibt keine Begegnungen mehr, es entstehen Filterblasen.“ (S. 232) Denn die große Idee der gemeinsamen Liga ist die Verständigung.
Was trägst du bei?
Auch im Amateurbereich gilt es zu diskutieren, was man will. Sollen Fußballer:innen der
unteren Ligen mit dem Fußball Geld verdienen? Oder sollte das nicht eher den Schiedsrichter:innen, dem freiwilligen Personal, das nach dem Spiel die Toiletten putzt und den Parkplatzeinweiser:innen vorbehalten sein? Ist es gerecht, dass diejenigen verdienen, die „spielen“? Schwermer schlägt grundsätzlich vor, dass wir uns nicht mehr gegenseitig danach fragen, was unsere Jobs sind, sondern: Was trägst du bei?