Die Vorstellung einer anderen sozialen Zeiteinteilung ergibt sich aus der Problemstellung der Desynchronisierung der Arbeitszeiten und findet hier insbesondere im temporellen Angebot von Dienstleistungen seinen Anwendungsbereich. P. Rosanvallon zeigt deutlich auf, dass die Entflechtung eine zunehmende Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung unserer Gesellschaften spielen wird, und zwar in dem Ausmaß, in dem wirtschaftlicher Fortschritt gleichbedeutend mit einer Verlagerung des Konsums von Produkten hin zu einer direkten Konsumation von Arbeitszeit ist.(1) Tatsächlich erweist sich die Mehrheit der Leistungen als unmittelbarer Konsum von Arbeit, und somit tragen Dienstzeit und Arbeitszeit direkt zur Lebensqualität der Konsumenten bei. Unter diesen Umständen ist klar ersichtlich, dass die Abkehr von einer für die Dienstleistungsbereiche starr geregelten Zeiteinteilung das vorrangige Mittel zu einer Entsprechung von Arbeitskraft und tatsächlicher Tätigkeit ist. Bedeutet dies, dass man auf einen Teil der Bevölkerung die Nachteile (Verschiebung der Dienstzeiten auf sozial und kulturell der Erholung zugedachte Zeiträume) überträgt, um für einen anderen Teil eine Besserung zu erreichen? Diese Frage wird von den Proponenten des Gesetzesentwurfes der italienischen PSD (Sozialistische Demokratische Partei) aufgeworfen, welche jedoch hervorheben, dass die Dienstleistungsempfänger mit denselben Problemen konfrontiert sind, sobald sie selbst einen anderen Dienstleistungsbereich beanspruchen. In einem vorangegangenen Artikel stellen wir, ausgehend von der Feststellung der durch abweichende Arbeitszeiten eines Teiles der Bevölkerung hervorgerufenen Marginalisierung, die These auf, dass die Desynchronisierung der Zeitsysteme unter gewissen Umständen einen Faktor zur Verbesserung der Lebenskonditionen darstellen könnte, indem insbesondere eine Umgestaltung des sozialen Gefüges auf der Basis von ,temporellen Gemeinschaften' (communautes ternporelles) (2) erreicht werden könnte. Angesichts der globalen Annäherung, initiiert von den Frauen der PSD, welche die Frage der Koordination der Dienstzeitsysteme innerhalb ein und derselben Stadt aufgeworfen haben, sind wir der Ansicht. dass die Frage der Arbeitszeiteinteilung im Dienstleistungsbereich im größtmöglichen Rahmen von einer Reflexion über die Interaktion von Zeitsystemen ersetzt werden muss und sich in einer „globalen Zeitpolitik' artikulieren sollte. Durch die Transformation der Arbeitszeitstrukturen, durch Arbeitszeitverkürzung sowie durch die zu beobachtende Umwälzung im Bereich der Erwartungshaltungen scheinen vor allem Art und Bedingung der Artikulierung innerhalb der unterschiedlichen Arbeitszeiterfordernisse gefragt. Man trifft hier erneut auf die systematische Annäherung der Zeitorganisation, welche im Vorwort dieses Artikels dargestellt wurde: Die Modifizierungen auf individueller Ebene (micro) und auf jener der Organisationen (meso) müssen auf gesellschaftlicher Ebene (macro) artikuliert werden. In Wirklichkeit trägt, wie A. Chiesi hervorhebt.(3) die Existenz einer heute für unsere Gesellschaften sehr charakteristischen doppelten Tendenz - die erste, im Sinne einer Homogenisierung der Zeitrhythmen und die zweite, im Sinne einer Diversifikation derselben dazu bei, die Starrheit der globalen Zeitordnung zu verstärken, produziert perverse Effekte und macht eine andere Zeitorganisation notwendig. Gerade durch die wachsende Problematik der Handhabung und Auflösung zeitlicher Starrheiten des Systems wird ein größerer Bewegungsspielraum notwendig gemacht, sowohl vom Standpunkt der Arbeitszeitnachfrage als auch vom Standpunkt des Angebotes. (Übersetzung: M. U.)
1) Rosanvallon, P. "L' emploi et les modes de consommation du ternps" Temps Libre, Nr. 13
2) Boulin, J. Y. - Esciave du dimanche. - Futuribles Nr. 164, April 1992
3) Chiesi, A: L'organisation du temps dans la societe: facteurs determinants, interactions et consequences, In: Fondation pour Amelioration de Conditions de Vie et de Travail, Dublin, 1985.
Jean-Yves Boulin: Pour une politique globale du temps (Für eine globale Zeitpolitik) In: futuribles, Nr. 1651166, Mai/Juni 1992, S. 251 f.