Ingo Zamperoni, zeitweiliger US-Korrespondent der ARD, hat mit „Fremdes Land Amerika” eine – teils wehmütige – Abschiedserklärung an acht Jahre Obama-Präsidentschaft vorgelegt. Diese wurde vor allem außerhalb der USA als Resultat gesellschaftlichen Fortschritts im Land der unbegrenzten Möglichkeiten betrachtet; an hoch gesteckte und letztendlich unbegründete Erwartungen, die ihren Niederschlag auch in einem Friedensnobelpreis fanden.
Neben der berauschenden, „spektakulären Natur des Kontinents“ und der Freundlichkeit der Menschen spricht der Autor die zahllosen „Widersprüche, Ungereimtheiten und Mängel“ an, die ein kritischer Beobachter in den USA täglich erlebt: marode Infrastruktur, Doppelmoral, krasse Armut, das absurde Recht auf Waffenbesitz, alltäglicher Rassismus (S. 12).
Gründe für den Wahlausgang 2016 finden sich vielfach: selbstgerechte Wut, zornige Ablehnung der Verhältnisse und Frustration über die gebrochenen Versprechen einer globalisierten Wirtschaft, sichtbar nicht zuletzt an dramatisch angestiegenen Sterberaten weißer Amerikaner im Alter von 45 bis 55 (S. 33). Anti-Islamismus und die „Angst vor gesellschaftlichen Veränderungen und sozialem Abstieg, [welche] die amerikanische Mittelschicht so erschüttert, dass viele sich Donald Trump im Oval Office vorstellen können“ (S. 134).
Zamperoni erläutert Obamas Erfolge – und sein Scheitern an der kompromisslosen, „teils absurden“ Frontalopposition der Republikaner (S. 46). Was ihn – bittere Ironie – „ungewollt zum obersten Verkaufsförderer für die Waffenindustrie“ gemacht habe: „in entsprechenden Kreisen hält sich hartnäckig das Gerücht, Obama wolle den Amerikanern ihre Waffen wegnehmen“ (S. 114). Der Spiegel-Bestseller warnt vor naiv-übertriebenen Erwartungen in die transatlantische Freundschaft und macht es schon im Untertitel klar: der POTUS hat „immer zuerst die US-Interessen im Blick. Diese mögen oft im Einklang mit unseren Interessen liegen, sie tun das aber nicht zwangsläufig. Das werden Obamas Nachfolger nicht anders halten“ (S. 44). Was der Autor nicht antizipierte: dass und wie der American Dream seit dem 8.11.2016 scheibchenweise (weiter) demontiert wird; wie sich nahezu täglich als Irrtum herausstellt, dass „vieles von dem Wandel, den Obama angeschoben hat, mittlerweile so gut etabliert [ist], dass eine konservative Regierung es schwer haben dürfte, die Stellschrauben allzu weit zurückzudrehen“ (S. 59).
Trump und die Medien
Journalistische Bankrotterklärungen im Wahlkampf – von TV-Sender-Chef Les Moonves auf den Punkt gebracht: „Trump mag nicht gut für Amerika sein, aber er ist verdammt gut für CBS“ (S. 85) – bewegen Zamperoni zu einem Plädoyer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Einer seiner Eindrücke muss die Trump-/Pence-Präsidentschaft (mitsamt ihren Jahrzehnte überdauernden Auswirkungen auf den Supreme Court!) allerdings erst unbeschadet überstehen: „dass Amerika in vielen Fragen eher nach links rückt, progressiver wird, trotz aller Rückzugsgefechte der Konservativen. Die Tatsache, dass ein selbst ernannter Sozialist als demokratischer Präsidentschaftskandidat nicht als wirrer Spinner fallengelassen wird … ist eines der sichtbarsten Zeichen. (…) Die Debatte um homosexuelle Gleichberechtigung ist inzwischen (…) juristisch abgehakt. Inzwischen können sogar Transgender-Amerikaner ganz offen im Militär ihren Dienst leisten“ (S. 87).
Die zunehmende Militarisierung der Polizei – „mit all dem Militärgerät kann sich auch eine Militär-Haltung in unsere zivile Polizei einschleichen. Und die Befürchtung besteht, dass die Polizei dann anfängt, die Bürger als Gegner zu sehen“ (S. 93) – ist wegen ihrer Ausstrahlung auf andere Demokratien ebenso relevant wie das Thema „Prinzipientreue als Selbstzweck“. Das damit verbundene Paradox des „one-issue-voters“ führt dazu, dass WählerInnen ihre Stimme für jene abgeben, die „ansonsten gar nicht in ihrem Sinne oder zu ihrem Vorteil sind“ (S. 116). Die „Sehnsucht nach dem autoritären starken Mann, der (…) das Land gegen ‚die anderen‘, die an allem schuld sind, verteidigt“ (S. 292), sieht Zamperoni für beide Seiten des Atlantiks als „Ansporn (…), das Erreichte immer wieder aufs Neue [zu] verteidigen und Haltung [zu] zeigen“ (S. 305).
Reinhard Geiger
Zamperoni, Ingo: Fremdes Land Amerika: Warum wir unser Verhältnis zu den USA neu bewerten müssten. Berlin: Ullstein, 2016. 336 S., € 20,- [D], 20,60 [A] ; ISBN 978-3-550-08142-2