Wir brauchen eine gerechte Gesellschaft

Ausgabe: 2018 | 1
Wir brauchen eine gerechte Gesellschaft

Bernie Sanders über die Notwendigkeit einer gerechten Gesellschaft1988 benötigte der demokratische Präsidentschaftskandidat Mike Dukakis ganze vier Monate, um die von Ronald Reagan ausgesprochene Punzierung als „Liberaler“ zu akzeptieren. Sich politisch noch weiter links zu verorten, kam in den USA lange politischem Suizid gleich. Bernie Sanders hat es zunächst auf kommunaler Ebene geschafft, das Zweiparteiensystem zu überwinden. Vom Rathaus einer knapp  40.000 Einwohner-Stadt aus gelang ihm zehn Jahre später der Einzug ins US-Repräsentantenhaus  –  als erstem Parteilosen seit 1950.

Den Beweis, „dass man eine konkurrenzfähige landesweite Graswurzelkampagne führen kann“ (S. 10), hat er erbracht. „Ein Präsidentschaftswahlkampf ist eine einmalige Gelegenheit, Themen aufzuwerfen und Debatten über Standpunkte anzuschieben, die oft vom Establishment und den Medien ignoriert wurden.“ (S. 67) Dazu zählt Sanders u. a. eine „grotesk ungleiche Verteilung von Einkommen und Wohlstand“, die Notwendigkeit der Zerschlagung der großen Banken, die „entsetzliche Handelspolitik“, der Mangel an bezahlbarer Gesundheitsversorgung und höherer Bildung, den globalen Klimawandel, die „Notwendigkeit einer neuen Außenpolitik, die Diplomatie über Krieg stellt“ (S. 11). Es ging dabei jedoch nie um die Präsidentenwahl allein, schreibt er. Sondern um, „Amerika zu verändern. Es ging darum, dass echter Wandel nie von oben nach unten stattfindet. (...) Er findet statt, wenn Millionen einfache Leute bereit sind, aufzustehen und für Gerechtigkeit zu kämpfen“ (S. 12).

Sanders, gelegentlich als linkes Pendant zu Trump bezeichnet, scheut sich nicht davor, das Resultat einer in den USA seit Reagan betriebenen Politik der „massiven Umverteilung nach oben" detailliert darzustellen und legt umfangreiches Zahlenmaterial mit Quellenangaben vor. 1979 besaßen die „obersten 0,1 Prozent noch etwa sieben Prozent des Vermögens dieses Landes. Inzwischen sind es 22 Prozent“ (S. 120). „Das mittlere Realeinkommen eines männlichen Arbeiters in Vollzeit ist um 2.133 Dollar niedriger als vor 43 Jahren [im Jahr 1973]“ (S. 126); dabei erhält eine Frau im Durchschnitt für eine Vollzeitstelle „nur 79 Cent für jeden Dollar, den ein Mann verdient“ (S. 150).

Dem vorgeblichen Anti-Establishment-Kurs von Trump, der ein besseres Gesundheitssystem als Obamacare versprach – bei niedrigeren Kosten und gleichzeitigen Steuersenkungen! –, stellt Sanders durchgerechnete progressive Einkommens- und Erbschaftssteuern entgegen; ebenso eine Besteuerung von Börsentransaktionen und eine Beschränkung von Steuervergünstigungen für Reiche. Das bestehende Steuerrecht habe „die Steuerhinterziehung legalisiert“ (S. 205).

Der Milliardär Trump hämmert Schlagworte wie „America First“ und will das Land „great again“ machen. Sanders plädiert dafür, dem Vorbild anderer entwickelter Nationen zu folgen. Was angesichts penibel aufgelisteter enormer Defizite in vielen Bereichen plausibel erscheint. Staatsschulden von 19,4 Billionen Dollar machten Reformen unfinanzierbar, argumentiert die etablierte Politik. „Humbug“, schreibt Sanders: „Das Establishment will, dass Sie glauben, Amerika sei pleite, ja, es ist sogar darauf angewiesen, dass Sie das glauben. (...) Das Problem ist nicht, dass wir pleite sind. Das Problem ist, dass viel zu viel von unserem ungeheuren Reichtum dem obersten Prozent gehört, das, statt seinen fairen Anteil an der Steuerlast zu tragen, seit Jahren riesige Steuergeschenke empfängt.“ (S. 202)

Dass Trump „den Klimawandel für eine von den Chinesen in die Welt gesetzte Ente“ halten mag, kommt für Sanders „nicht überraschend – wenn man dem Geld und den Wahlkampfspenden folgt. Die erbärmliche Wahrheit ist, dass jeder Kandidat, der die Realität des Klimawandels öffentlich anerkennt und Handlungswillen äußert, im selben Augenblick Wahlkampfspenden großer Unternehmen verliert“ (S. 341). Sein – trotzdem – optimistisches Fazit: „Ja, wir können die heute herrschende unersättliche Gier beenden und eine Wirtschaft aufbauen, die der Armut ein Ende setzt“ und weitere Ziele erreichen: lebendige Demokratie, nachhaltige Energieversorgung, ein Gesundheitssystem ohne skandalöse Profite; aber nicht, „wenn wir die Demokratie nur aus der Zuschauerperspektive betrachten“ (S. 456).

Reinhard Geiger

 

Bei Amazon kaufenSanders, Bernie: Unsere Revolution: Wir brauchen eine gerechte Gesellschaft.  Berlin: Ullstein, 2017. 464 S., € 24- [D], 24,70 [A] ; ISBN 978- 3550050077