Mit deutscher Präzision analysieren Wissenschaftler - durchwegs Habilitierte - die vielen Facetten der sozialen Krise ihres Landes, aber auch die globalen Dimensionen und ihre Rückwirkungen. Die Spannweite der "Sozialpolitik im „globalen Dorf“ schafft z. B. Elmar Altvater in seinem Beitrag, in dem er die Sicherheitsphilosophie der Geldvermögensbesitzer im "Casino-Kapitalismus" als treibende Kraft für weltweite wie regionale ökonomische Krisen als mitverantwortlich enttarnt. Vieles aus anderen Arbeiten Bekanntes - etwa die offenbar werdende Hilflosigkeit eines janusköpfigen Sozialstaates, der seinerseits mit seinen lokalen und regionalen Institutionen in die Insolvenz schlittern würde, aber auch über einen “neuen Gesellschaftsvertrag" - findet sich hier konzentriert aufbereitet. Näher an die Situation der unmittelbar vom sozialen Abstieg und Armut betroffenen Bürger und ihre Bewältigungstechniken - "Verleugnen, Verleumden, Ausgrenzen" und "die Schmarotzer" als unsolidarische Sündenböcke anprangern - wagen sich Thomas von Freyberg und Gerhard Schulze heran. "Arm sein bedeutet Exkommunikation von der Massenreligion des schönen, interessanten und deshalb sinnvollen Lebens" (Gerhard Schulze). Gerade die verzweifelten Rückzugsgefechte in mühsam geschaffene Nischen eines scheinbaren Wohlstandes vereinzeln und entsolidarisieren aber jene, die eigentlich nur gemeinsam ihre kleine Chance auf eine Verteidigung ihrer sozialen Rechte nützen können. Stattdessen steht zu befürchten, daß - um den Buchtitel zu karikieren - Slogans laut werden wie: "Eure Analyse und Solidaritätsrhetorik kotzt uns an! - Was wir jetzt brauchen, sind handfeste, praktikable Strategien, aber auch materielle Hilfen." Wie diese sich rapide verbreiternde Kluft zwischen ihnen und den glaubwürdig engagierten Experten reduziert werden kann, das muß die Praxis in den sozialen Bewegungen zeigen. M. Rei.
Eure Armut kotzt uns an! Solidarität in der Krise. Hrsg. v. Friedhelm Hengsbach ... Frankfurt/M.: Fischer, TB Nr.12945, 1995. 208 S.