Freiheit statt Kapitalismus

Ausgabe: 2012 | 1

Sarah Wagenknecht ist heute die bekannteste lebende Kommunistin Deutschlands. Ihr aktuelles Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ versprach spannend zu sein. Wagenknecht versucht darin, Ludwig Erhards Marktwirtschaft mit ihrem Anti- Kapitalismus zu verbinden. Handelsblatt und Financial Times Deutschland berichten über das Buch, die Frakfurter Allgemeine Zeitung nimmt es auch zur Kenntnis. Doch leider ist der Befund weit weniger spannend, als man meinen könnte. Wagenknechts Idee ist es, die Grundprinzipien der Marktwirtschaft gegen den Kapitalismus zu wenden. Das funktioniert auch, nur: Das hat schon Karl Marx gemacht. Als deutsche Kommunistin beginnt Wagenknecht mit den Ideen der Marktwirtschaft in den ordoliberalen Formulierungen von Ludwig Erhard (S. 18ff.). Marktwirtschaft muss durch strikte Regeln und ordentliche Sozialgesetze dem Allgemeinwohl verpflichtet werden. Diese Regeln würden durch Deregulierung zurzeit ausgehöhlt. In der Marktwirtschaft muss die Konzentration wirtschaftlicher Macht verhindert werden. Doch die Befreiung des Marktes nach neoliberalem Muster befördere, dass sich Monopole bilden. Die Marktwirtschaft braucht das Prinzip der persönlichen Haftung. Wagenknecht sieht die Verhaltensweisen in den Finanzmärkten heute als krasses Gegenbeispiel dieses Prinzips. Nicht jede Wirtschaftstätigkeit kann durch Wettbewerbsmärkte organisiert werden, zum Beispiel wenn technisch bedingte Monopole vorliegen. Auch hier ortet Wagenknecht einen zunehmenden Druck, auch diese Wirtschaftsbereiche dem Markt zu überantworten. Die Autorin unterscheidet zwischen den ordoliberalen Prinzipien z. B. eines Alfred Müller-Armack und den Neo-Klassischen Argumenten z. B. von Kenneth Arrow du Gerard Debreu. Ihre Sympathie gehört den Ordoliberalen, denn was jene als Fehlentwicklungen bezeichnen, bezeichnet auch Wagenknecht als solche. Im Buch geht Wagenknecht mit ihrer Kritik der herrschenden Verhältnisse ins Detail. Sie tut dies gut nachvollziehbar, geht mit den Lesern pädagogisch um und legt sicher kein theoretisches Werk vor. Ihr Buch ist eine Streitschrift, mit der bürgerliche Liberale für sozialistische Ideen gewonnen werden sollen. Diese Ideen aber sind so radikal, dass man sicher sein kann, dass kein bürgerlich Liberaler sie unterstützen wird. Sie sind aber andererseits nicht so radikal, wie Beschreibungen einer alternativen Gesellschaftsordnung es wären. Als Beispiele seien ein Schuldenschnitt bei verschuldeten Staaten (außer gegenüber Kleinanlegern) oder die Wiederherstellung des Umlageverfahrens mit ausreichenden Beitragssätzen bei den Renten und öffentlichen Banken mit geringeren Renditeansprüchen zur Förderung der Realwirtschaft genannt. Wagenknecht rezipiert auch das wichtige Buch von Kate Pickett und Richard Wilkinson „Gleichheit ist Glück“. Darin haben die beiden Autoren mithilfe von Korrelationsrechnungen die Auswirkungen von Ungleichheit auf verschiedene Aspekte des Lebens bestimmt. Das beeindruckende und auch der Kritik standhaltende Ergebnis der Untersuchung (vgl. Pro Zukunft 3/2010) war, dass Gleichheit in Marktwirtschaften Gesundheit, Sicherheit und wirtschaftlichen Fortschritt (u.v.a.m.) befördert. Die Schwäche des Ansatzes von Wagenknecht ist, dass sie nicht nachvollziehbar erklärt, warum die Marktwirtschaft sich von ihren eigenen Grundsätzen entfernt. Denn wenn sie den Ordoliberalen zunickt, muss sie der Auffassung sein, dass die Marktwirtschaft grundsätzlich regulierbar ist. Dann aber muss sie davon ausgehen, dass die Auflösung dieser Regulierung, nicht-systemimmanent zwingend ist. In ihrem Buch fokussiert sie nun auf den theoretischen Konflikt zwischen Ordoliberalen und Neo-Klassikern, die für sie verschiedene Interessenslager vertreten. Wie erklärt sie aber, dass sich die Neo-Klassiker durchgesetzt haben? Warum wurden öffentliche Banken kommerziell ausgerichtet? Warum wurde das umlageorientierte Rentensystem zurückgedrängt? Wagenknecht scheint dies durch eine Verschiebung in einer theoretischen Debatte begründet zu sehen, was eine Kettenreaktion an ökonomischen Effekten nach sich gezogen habe. Gar nicht ins Blickfeld rückt dabei, welche Interessen innerhalb der staatlichen Strukturen verfolgt wurden. Sind die Interessen der Spitzen einer öffentlichen Bank ident mit den Interessen des Allgemeinwohls? Sind die Interessen derjenigen, von denen wir nun fordern, die öffentlichen Banken zu regulieren, das langfristige Gemeinwohl oder die mittelfristigen Einnahmen zur Finanzierung von Staatsausgaben? Solange diese Fragen des Agierens von Menschen in staatlichen und politischen Strukturen ausgeblendet bleiben, wird die Linke noch oft von ihren „VertreterInnen an der Macht“ enttäuscht werden. S. W.

 

Wagenknecht, Sarah: Freiheit statt Kapitalismus. Frankfurt/M.: Eichborn, 2011. 365 S., € 19,95 [D], € 20,55 [A], sFr 33,90 ISBN 978-3-8218-6546-1