Während Wolfgang Sachs insbesondere die Schutzrechte der einheimischen Bevölkerung vor dem Zugriff durch multinationale Konzerne und die Ermöglichung von Entwicklung der Eigenpotenziale thematisiert (s. o), plädiert der Zukunftsforscher und Sprecher der Global Marshall Plan-Initiative Franz Josef Radermacher in „Zukunft unserer Welt“ für ein „Weltsozialhilfesystem“ sowie für „bessere Regelwerke der Weltökonomie“ als Teil einer Weltinnenpolitik, wie sie sehr früh bereits Carl F. v. Weizsäcker gefordert hat (S. 49). Hunger sei kein Problem der physischen Produktion von Nahrungsmitteln, sondern eines des Zugangs zu Kaufkraft: „Die Menschheit ist in der Lage, Biomasse zu produzieren und zu veredeln, aber nur, sofern die Kaufkraft dafür da ist.“ (S. 26) Da diese derzeit weltweit äußerst ungleich verteilt ist, essen die einen Steaks und die anderen verhungern, so der Autor pointiert. In Umkehrung hieße dies noch lange nicht, dass die Hungernden etwa zu essen bekämen, wenn die Reichen weniger Steaks essen. „Weil die, die hungern, keine Kaufkraft besitzen, würde schlicht weniger Biomasse produziert.“ (S. 26) Radermacher ist überzeugt, dass diesem System nur durch den „Transfer von Kaufkraft“ ein Ende gesetzt werden könne. Er plädiert daher für ein global umverteilendes Steuersystem, etwa über CO2-Abgaben („carbon justice“) oder eine weltweite Steuer auf alle Wertschöpfungsprozesse, die den Benachteiligten Chancen auf eigene Entwicklung und Bildung ermöglichten (Daraus ergibt sich eine Parallele dieser „globalen ökosozialen Marktwirtschaft“ zu dem Vorschlag eines Weltgrundeinkommens von Götz Werner, s. o.). Wie ungleich derzeit die ökonomischen Machtverhältnisse und wie fehlgeleitet die Anreizsysteme sind, macht Radermacher daran deutlich, dass der Vermögenszuwachs (nach Steuern) der 100 reichsten Familien der Welt ebenso viel ausmacht wie die gesamte Weltentwicklungshilfe (S. 47).
Als offen zulegende Machtfrage sieht der Autor auch das Fehlen tatsächlicher globaler Regulierungen der Wirtschaft: „Dass die Regelung der internationalen ökonomischen Prozesse so schwierig ist, hängt z. B. damit zusammen, dass wir zwar permanent zur Beruhigung der Öffentlichkeit und unseres Gewissens Verträge zum Schutz der Sozialen Rechte (keine Kinderarbeit) und zum Schutz der Umwelt schließen, z. B. der International Labour Organisation (ILO) und im Rahmen von UNEP, dem United Nations Environmental Programme, aber diese Verträge dann nicht mit dem WTO-Regime oder den Regelwerken des Weltfinanzsystems koppeln, wo die ´Musik´ gemacht wird.“ (S. 36)
Radermacher unterbreitet in diesem Band einmal mehr zahlreiche Vorschläge für eine Global Governance, die über schöngeistiges Reden von den Menschenrechten oder UN-Millenniumszielen hinausgehen. Ein wesentlicher Schritt dahin wäre für ihn (und andere auch) eine weltweite parlamentarische Versammlung, in der die Benachteiligten eine machtvollere Stimme hätten: „Ein gesichertes Klimaregime nach dem Prinzip der Klimagerechtigkeit und soziale Mindeststandards und Schulbesuch für alle wäre weltweit längst geregelt, wenn die Welt eine Demokratie wäre. Und niemand würde mehr verhungern.“ (S. 47) Radermacher ernst genommen, geht es darum, globale Umvertteilungsregeln durchzusetzen, die dann Entwicklungshilfe obsolet machen. H. H.
Radermacher, Franz Josef: Die Zukunft unserer Welt. Navigieren in schwierigem Gelände. Essen: Edition Stifterverband, 2010. 108 S. ISBN 978-3-922275-36-7