Das Technopol

Ausgabe: 1992 | 1

260000 Reklametafeln, 100 Mill. Computer, 27000 Video-Verleihe, 11520 Zeitungen, 11556 Zeitschriften, 40000 Bücher im Jahr und täglich 41 Mill. Photos allein in den USA - verdeutlichen, dass Information nicht nur Mittel, sondern auch Zweck des vermeintlichen Fortschritts geworden ist. Sein Instrument ist der Computer, sein Opfer die wehrlose Gesellschaft und sein Betreiber das „Technopol". Wir sind, so Postmans zentrale These, vom kulturellen AIDS, dem "Anti-Information-Defekt-Syndrom" befallen, und dadurch der Werbung sowie der Manipulation ausgeliefert. Dem Diktat der Effizienz unterliegend, meinen wir die Technik zu beherrschen, ohne zu merken, dass wir es sind, die von ihr beherrscht werden. Religion und Traditionen als sinnstiftende Korrektive der "Werkzeugkultur" (bis ans Ende des Mittelalters) haben mit der Ausbildung der Technokratie an Bedeutung eingebüßt und sind unter der Herrschaft des Technopols scheinbar zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Familie, Rechtsprechung und Schule haben ihre Funktion als Informationsfilter eingebüßt, an ihrer Stelle walten Bürokratie und Expertenturn, und weiten ihre Macht anscheinend unaufhaltsam aus. Dabei wird verkannt bzw. ignoriert, dass unsere Probleme primär weder technischer Natur noch durch Technik zu lösen sind, nicht im Mangel an Information, sondern vielmehr in der Dominanz des dem Zählen und Messen verfallenen Szientismus begründet sind. Um der Entleerung der Symbole, dem Verlust der Geschichte und einem sinnlosen Leben zu entgehen, fordert Postman den einzelnen zu "liebevollem Widerstand" auf. Wenn es gelingt, das Bewusstsein für kollektive Werte wieder zu wecken, der Effizienz als wichtigstem Kriterium des zwischenmenschlichen Umgangs zu widerstehen, Information und Begreifen nicht zu verwechseln, dann könnte es gelingen, dem Technopol zu begegnen. Aufgabe der Schule wäre es, ein Gefühl für Sinn und Zusammenhalt der Inhalte zu vermitteln und durch Darstellung der historischen Dimension zu zeigen, dass auch andere Formen der zivilisatorischen Entwicklung möglich sind. Postmans Analyse ist geistreich, humorvoll und keinen Augenblick lang belanglos. Dass der Autor, der so überzeugend das Für und Wider der Megatechnik darzustellen weiß, diese als Mittel der Kriegsführung billigt, ist sehr bedenklich. Walter Spielmann

Postman, Neil: Das Technopol. Die Macht der Technologien und die Entmündigung der Gesellschaft. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992. 221 S., DM 28,- / sFr 23,70 / öS 218,40