Das System Müll

Ausgabe: 1991 | 3

Ob ästhetisches Kalkül oder aber die Brisanz der Aussagen die Autoren veranlasst hat, in die Rolle fiktiver Herausgeber zu schlüpfen, mag den Leser dieses Bandes nur am Rande beschäftigen. Aufgerüttelt, verunsichert, verbittert oder engagiert wird er auf die geheimen Aufzeichnungen "eines Müllgenies", reagieren, das in Tagebüchern, Vortragsentwürfen und philosophisch-essayistischen Exkursen dem Wesen des Unrats in all seiner Vielfalt nachgegangen ist. . Gleichermaßen fundiert und kritisch, zudem begreiflicherweise sarkastisch berichten "die Herausgeber" vom Triumph des Abfalls in all seiner Vielfalt: Einerseits zum Kunstobjekt avanciert, droht er andererseits in seiner grenzenlos und entgrenzenden Eigenschaft selbst das Ende des Menschengeschlechts einzuläuten. Ihm ist nicht beizukommen, "denn es gibt keine schadstofflosen Beseitigungstechniken ... und keine Endlagerung". Die Probleme der Politik mit dem Müll werden (vorwiegend aus bundesrepublikanischer Sicht) ebenso anschaulich geschildert wie die trügerischen Versprechen der Abfalltechnologie: Verbrennung, Deponie und Recycling sind gleichermaßen problematisch, sodass keineswegs zufällig Anti-Müllbewegungen mehr und mehr auf sich aufmerksam machen. Allein auf dem Territorium der USA lagern 850000 m3 nukleare Abfälle, fallen in der "alten" BRD jährlich 80 Mio. Tonnen Klärschlamm an, sind in Großbritannien - einem Endlagerplatz der internationalen Müllmafia - ganze fünf Inspektoren mit der Überwachung von 5000 Gifthalden betraut. Die Breite des behandelten Themenspektrums - geschichtliche Exkurse, Darstellung der Problemstoffe und Umweltmedien im Einzelnen, die stinkenden Geschäfte der Müllkapitalisten auf Kosten der Dritten Welt und unser aller Zukunft - verdient sorgfältige Lektüre. Gute Nerven allerdings sind anzuraten, denn der prophezeiten Ausweglosigkeit des Niedergangs ins Auge zu sehen, ist nicht jedermanns Sache. 

Grassmuck, Volker; Unverzagt, Christian: Das Müll-System. Eine metarealistische Bestandsaufnahme. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1991.311 S. (es; 1652) DM 18,- 1 sFr 15,30 1 öS 140,40