Das Ende des sozialen Friedens?

Ausgabe: 2010 | 4

In einem 2008 erschienenen Buch „Der Aufstand der Unterschicht“ (Hoffmann und Campe) beschreibt Inge Kloepfer, was auf uns zukommt, wenn nichts geschieht. Im April 2009 warnte die ehemalige SPD-Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan in einem Gespräch mit der Frankfurter Rundschau vor sozialer Wut als Folge der anhaltenden Wirtschaftskrise. Und Albrecht von Lucke (Jurist und Politikwissenschaftler) gibt 2009 in „Die gefährdete Republik. Von Bonn nach Berlin 1949 – 1989 – 2009“ zu bedenken, dass der soziale Friede bereits dann erodieren kann, wenn Millionen von Bürgern mental aus der Demokratie aussteigen, sich also nicht mehr an der Republik beteiligen.

 

Laut Christian Lahusen (Professor für Soziologie an der Universität Siegen) und Britta Baumgarten (wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe „Zivilgesellschaft, Citizenship und politische Mobilisierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) stellen die Konflikte um die Hartz-Reformen und die Proteste rund um diese Gesetze eine wichtige Phase in der politischen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dar und verdienen eine genauere Untersuchung, um eine Antwort auf die Frage zu erhalten, ob die wachsende Kluft innerhalb der Gesellschaft den sozialen Frieden gefährdet. Die massiven Proteste hätten zwar nicht zu einer Änderung der sozial- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen geführt, so der Befund des Autorenduos, sie hätten aber zumindest dazu beigetragen, dass die „soziale Frage“ wieder als ein zentraler Punkt politischer Kontroversen in den Mittelpunkt gerückt sei.

 

 

 

Proteste nehmen zu

 

Die Sorge vor sozialen Unruhen dürfte auch von Veränderungen des politischen Beteiligungs- und Protestverhaltens der Bevölkerung verursacht sein. Zudem mehren sich Indizien für die Festigung und Ausweitung eines sozial stark benachteiligten Prekariats. Nach den Milliarden schweren Rettungs-paketen für jene, die in der Öffentlichkeit als Mitverursacher der Krise ausgemacht wurden (Manager, Banken, Börsen), ist der Sparzwang v. a. in Bezug auf sozialstaatliche Ansprüche und Leistungen zunehmend schwerer zu vermitteln. Ein weiteres Anzeichen dafür, dass der soziale Friede auch bei uns gefährdet sein könnte, sind die riesigen Protestwellen in anderen europäischen Staaten (das Beispiel Frankreich wird als besonders protestbegünstigt ausführlicher besprochen). Studien der „Sozialen Bewegungsforschung“ belegen zudem eine „partizipative Revolution“ vor allem kleiner Protestaktionen (vgl. S. 218). Ebenfalls auffällig ist die Zunahme konfrontativer Protestereignisse wie Blockaden. Im Spektrum der politischen Meinungsbildung ist deren Anteil zwischen 1950 und 1994 von 0,6 auf 10,8 Prozent angestiegen. Lahusen und Baumgarten sprechen in diesem Zusammenhang „von einer Radikalisierung des Unmutes“. (ebenda) Gewarnt wird zu Recht (siehe auch Klaus Firlei in den Salzburger Nachrichten vom 24.11.2010) vor der Entfremdung der Bevölkerung, insbesondere der weniger privilegierten Gruppierungen (durch Politikverdrossenheit, Misstrauen und Nichtteilnahme), denn diese Gruppen gelten für populistische und antidemokratische Parolen als besonders anfällig. Vor allem deshalb gilt es, wie auch Ulrich Schneider betont, die Erosion der sozialen Strukturen aufzuhalten und den Funktionsverlust der sozialen Sicherungssysteme zu stoppen. Es müssen Perspektiven für jene entwickelt werden, die am unteren Rand des Gesellschaftsspektrums leben.

 

Insgesamt teilen die Autoren die Sorgen vor sozialen Unruhen und einem Ende des sozialen Friedens aber nicht. Zwar wird eingeräumt, „dass politische Konflikte in Zukunft eine größere Sprengkraft entwickeln, sobald die gesellschaftlichen Problemlagen sozialer Ungleichheit und gesell- schaftlicher Ausgrenzung zunehmen“ (S. 222). Um so mehr müsse es das zentrale Thema einer demokratischen und partizipativen Politik sein, die generelle Teilhabe der Bevölkerung und insbesondere auch der marginalisierten Bevölkerungsgruppen zu stärken. A. A.

 

Lahusen, Christian; Baumgarten, Britta: Das Ende des sozialen Friedens? Politik und Protest in Zeiten der Hartz-Reformen. Frankfurt/M. u.a.: Campus, 2010. 252 S., € 29,90 [D], 30,80 [A], sFr 50,80

 

ISBN 978-3-593-39032-1