Auf den Klippen des Chaos

Ausgabe: 1993 | 4

Für die meisten Probleme gibt es die meiste Zeit keine Lösungen. Aber gerade diese Ratlosigkeit der Welt ist für Günther Nenning, dem österreichischen Schreibund Tatsteller, ihre letzte Chance. So könnte die Vermutung, die Welt gehe unter, dazu führen, daß sie nicht untergeht. Und so ist es nur konsequent, wenn Nenning das hereingebrochene Chaos als unsere Retterin begrüßt und den Mut zur Angst, vor dem was kommt, fordert. Er selbst bezeichnet sich als "hoffnungsvollen Pessimisten", der hier auf seine, sagen wir raunzend nörgelnde, oft überhebliche Art vieles zur Sprache bringt. Kritisiert wird die Linke wie die Rechte, die Sozialdemokratie ebenso wie der Kapitalismus, die Kirche, die Grünen, die deutsche Vereinigung, E(uro)G(ermania) oder die Demokratie insgesamt. Es erwartet den Leser ein wahrer Wortschwall an deftigen Sprüchen, geistreichen Gedanken und Zitaten. Als "rot-grüner Christ" beschreibt Nenning die Wiedergeburt der Religion aus der Gotteslästerung. Die Grünen sind für ihn keine Partei, sondern eine Jahrhundertbewegung. Ihm ist das Chaos der Bürgerinitiativen lieber als der" fermentierte Mist der demokratielosen Demokratie". Er wünscht sich, daß möglichst viele Menschen viel gemeinsam tun können ohne dazwischenpfuschende Demokratiebürokratie. "Abstimmen ist außer demokratisch auch Bankrott der Demokratie - Verzicht darauf, so lange miteinander zu reden, so innig miteinander zu leben, daß Übereinstimmung erzielt wird ohne Auseinanderdividieren in Mehrheit und Minderheit." Nenning ist aber auch Utopist, für den der reale Kapitalismus häßlich genug ist, um eine neue sozialistische Vision zu begründen. Nation ist für den Autor positiv besetzt - "Quelle von Wärme und Hinweis auf Wurzeln". Wie fatal Nationalbewußtsein hingegen war und wieder werden kann, beschäftigt ihn nur am Rande, wenn er vom" Klabautermann Kurt Schumacher", dem nationalen Sozialdemokraten erzählt.  Ein wahres Lesevergnügen, bei dem einem manchmal der Kloß im Halse steckenbleibt, das Für und Wider immanent ist. Aber wer möchte dem Zyniker widersprechen, wenn er meint: "Keuschheit ist tödlicher als jeder Weltkrieg, umweltschonender als jeder Umweltschutz und viel gesünder als Aids." A.A.

Nenning, Günther: Auf den Klippen des Chaos. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1993.350 S., DM 39,-/ sFr 33,- / öS 304,20