Digitale Erschöpfung

Ausgabe: 2018 | 2
Digitale Erschöpfung

Digitale Erschöpfung. Wie wir die Kontrolle über unser Leben wiedergewinnen

Nicht nur in Wahlkampfzeiten ist die Digitalisierung aller Lebensbereiche ein gerne bemühtes Thema. Angefangen von Plattformen wie Facebook und Google über Möglichkeiten dezentraler, flexibler Zusammenarbeit (Arbeit 4.0) bis hin zur Frage, was uns im Hinblick auf die Digitalisierung in Zukunft bevorsteht, lassen sich Tendenzen skizzieren. Bisher bescherte uns diese Entwicklung u. a. die ständige Erreichbarkeit (auch im Urlaub) und das Arbeiten dann, wenn wir am Produktivsten sind. Tatsächlich aber sind viele Menschen durch die digitale Lebensverdichtung stärker belastet als je zuvor. Diese Erschöpfung, von der hier die Rede ist, ist eine doppelte: „Gemeint ist sowohl die konkrete, individuelle Erschöpfung, die das Always-On des Digitalen in uns Menschen auslöst. Aber ebenso die abstrakte, begriffliche eines sich erschöpfenden Heilsversprechens.“ (S. 27)

Markus Albers, Autor, Berater und Unternehmer in Berlin, stellt die Frage, „ob wir mit der Art und Weise, wie wir mit unserer entfesselten, digitalisierten, verflüssigten und in jede Ritze unserer Existenz eindringenden Arbeitswelt richtig umgehen?“ (S. 14) Er sieht sich dabei selber als Betroffener, gefangen in der digitalen Falle und startete während der Arbeiten an diesem Buch den Versuch, sich dagegen zu wehren. Er experimentierte z. B. mit einfachen Dingen wie „Nichterreichbarkeit“ oder „Not-to-do-Listen“. Am Ende werden wir einen Blick darauf werfen, wie es ihm ergangen ist.

Schattenseiten der digitalen Arbeitswelt

Zunächst aber widmen wir uns den Schattenseiten der digitalen Arbeitswelt. Einige Zahlen mögen sie verdeutlichen. Laut dem Digital Work Report 2016 des Unternehmens Wrike ist fast jeder zweite Deutsche vom Multitasking überfordert (47 Prozent). 40 Prozent der Befragten klagen über zu viele E-Mails, 35 Prozent über zu viele ineffiziente Meetings. Auf die Frage, ob die Arbeitsbelastung im Vergleich zum Vorjahr zugenommen hätte, antwortete ein Viertel der Befragten, dass sie „signifikant zugenommen habe, für 47 Prozent ist sie immerhin leicht angestiegen“ (vgl. S. 24). Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts sagt dazu, dass die Versuchung zur Selbstausbeutung riesig sei und es gäbe menschliche Grundbedürfnisse, die bei aller Digitalisierung mit beachtet werden müssten (S. 25). Das Gefühl, nie abschalten zu können, nie im Jetzt zu sein, haben inzwischen viele Menschen. Laut einer Studie fühlen sich neun von zehn Bundesbürgern im Job gestresst, 38 Prozent macht der ständige Termindruck zu schaffen und 36 Prozent klagen über emotionalen Stress. „Mehr als zwei Drittel der Befragten klagen über Verspannungen im Nacken. 63 Prozent leiden ebenfalls unter Rückenschmerzen.“ (S. 79) Kein Wunder also, dass die Krankenkassen Alarm schlagen. „Über 50 Prozent aller von ihnen Befragten haben regelmäßig Schlafprobleme, 13 Prozent sogar jede Nacht. Die Zahl der Fälle von psychischen Erkrankungen, die wohl auf Stress zurückzuführen sind, stieg seit 1994 um 120 Prozent. Durch psychische Erkrankungen verursachte Fehlzeiten erhöhten sich in den letzten zehn Jahren um 40 Prozent.“ (S. 29)

Konkrete Wege gegen die digitale Erschöpfung

Wie aber schauen nun konkrete Wege gegen die digitalen Erschöpfung aus? Ein Blick auf das eingangs angesprochene Experiment des Autors kann erste Hinweise geben. Ihm ist es letztlich mit viel Mühe und Schritt für Schritt gelungen, sich aus dem digitalen Würgegriff zu befreien. Das Handy blieb öfter in der Schublade, der Laptop zugeklappt und der Autor versucht damit aufzuhören, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Seinen Angaben zufolge wirkte auch beruhigend, Dinge einfach langsamer anzugehen und auch einmal Nein zu sagen. Albers Fazit: Wir können es trotz der unumkehrbaren Digitalisierung der Arbeitswelt schaffen, Inseln der Autonomie, der Introspektion und des unverstellten menschlichen Miteinanders zurückzuerobern. Wir, das ist jeder von uns (und auch die Arbeitgeber), müssen es einfach tun. Alfred Auer

 

Bei Amazon kaufenAlbers, Markus: Digitale Erschöpfung. Wie wir die Kontrolle über unser Leben wiedergewinnen. München: Hanser-Verl., 2017. 256 S., € 22,- [D], 22,70 [A] ; ISBN 978-3-446-25662-0