Philipp Staab

Anpassung

Ausgabe: 2023 | 3
Anpassung

Philipp Staab ist Professor für Soziologie der Zukunft der Arbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Einstein Center Digital Future. Er forscht zu den Themen Arbeit, Technik, Ökonomie und Politik; mit dem Fokus auf die Zukunftsfähigkeit moderner Gesellschaften. Nach seinem Buch „Digitaler Kapitalismus. Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit“ legt er mit „Anpassung“ eine Einladung vor, diese als Leitmotiv unserer Gesellschaft zu begreifen, und zwar nicht in einem negativen Sinn. Bisher galt Anpassung in der kritischen Soziologie als Verlust von Freiheit, als Unterwerfung, doch diese Deutung will Staab verabschieden. Er argumentiert, wenn wir die heutigen Krisen in ihrer Dynamik und insbesondere den Klimawandel ernst nehmen, müssen wir uns mit der Frage befassen, wie Antworten aussehen können. Schon heute sind vielfach Selbsterhaltungsprobleme bestimmend, während Leitideen wie Fortschritt und Emanzipation in den Hintergrund treten. Die Frage nach Selbstentfaltung wird abgelöst von der Frage nach Selbsterhaltung, so die Feststellung – und dies könne man soziologisch nicht ignorieren. Anpassung kann als Strategie verstanden werden, die auch eigene Versprechen und Sinnbezüge beinhaltet. Denn die spätmoderne Ideologie der Selbstverwirklichung birgt auch Zumutungen, die alles andere als Freiheit ermöglichen. Staab bricht mit der Assoziation, Fortschrittsorientierung verschaffe Freiheit, Anpassung jedoch nicht. Das moderne Subjekt müsse einsehen, dass es sich selbst und die Gestaltbarkeit der Umstände überschätzt hat. Pandemie, Klimawandel und Krieg rücken das Zurechtkommen, den Lebenserhalt, das Wesentliche ins Zentrum. Abmildernde und bewahrende Reaktionen (Mitigation und Resilienz) überwiegen eine Semantik der Kontrolle. Unter dem Leitmotiv der Anpassung werden die Probleme sichtbar und bearbeitbar, der Realität wird ins Auge geblickt, und neue Möglichkeiten der Lebensführung können erprobt werden.

Avantgarden der Anpassung

Die Klimaschutzbewegung der „Fridays for Future“ ist hier maßgebend: im Unterschied zu bisherigen Bewegungen beschäftigt sie nicht die Frage nach dem Wie der Zukunft, sondern nach dem Ob (vgl. S. 128). Mit diesem Fortschrittsverzicht kann sie als Avantgarde einer adaptiven Lebensweise gesehen werden; „Anpassung wäre Rebellion“ (S. 133). Als weitere Avantgarde sieht Staab die speziell in der Coronakrise hervorgetretene Gruppe der „Systemrelevanten“, deren Sichtweisen der Autor mittels Interviews einbringt. Im Angesicht drängender Selbsterhaltungsfragen zeichnet beide „Bewegungen“ eine Frustration hinsichtlich einer zu langsamen und blockierten administrativen Handlungsfähigkeit aus. Entscheidungen dauern zu lange, es werden noch Diskussionen geführt, während längst Aktion nötig wäre. Hinzu kommt ein großes Wissenschaftsvertrauen, bei den FFF bekannt als der Slogan „listen to science“ (S. 131). Ziel wäre eine Entpolitisierung gewisser Problemstellungen. Staab formuliert infolge eines positiven Begriffs der Anpassung auch einen positiven Begriff von „protektiver Technokratie“ (S. 182), die die gewünschte Beschleunigung des Politischen verspricht. Darüber hinaus könnten mittels Expertise, Technik und digitaler Steuerung komplexe Gefahren einschätzbar und bearbeitbar werden.

Vision einer protektiven Technokratie

Eine dem Überlebensimperativ folgende, digitale Technik benötigt keine demokratischen Konflikte über entscheidende Fragen mehr, da diese bereits kompetent bearbeitet werden, und also entpolitisiert sind. Hier wird aber nicht an eine abstrakte digitale Superintelligenz gedacht, die das Erdsystem autonom stabilisiert (James Lovelock). Die Menschen sollen nicht passiv unter dem Schutzschirm einer planetaren KI leben, sondern ihre Arbeit über Feedbackschleifen stetig in die Stabilisierung der Sensorik einfließen lassen (vgl. S. 189 ff.).

Die Frage nach der Legitimität einer solchen Vision diskutiert der Autor im letzten Teil, und gibt einen kurzen geschichtlichen Rückblick: Der Soziologe Helmut Schelsky stellt bereits 1961 fest, dass mit zunehmender Technisierung der Gesellschaft die Bedeutung von Politik immer mehr abnehmen werde, und es zu einem technischen Staat komme. Kritisiert wurde daran das Fehlen von Sinnbezügen der Lebensführung jenseits der Systemstabilisierung, die Entmündigung der Menschen und ein Realitätsverlust. Doch es stellt sich die Frage, ob im Zeichen der heutigen Gesellschaft ein derartiges Bild einer Technokratie noch zutreffend ist. Die Menschen wollen keine „entpolitisierte Herrschaft kapitalistischer Sachzwänge“, sondern mahnen eine protektive und partizipative Technokratie ein, die „sich aus der Wahrnehmung realer Selbsterhaltungsprobleme ergibt und mit dem Selbstzweck der Kapitalakkumulation grundsätzlich bräche“ (S. 197).