Zukünftige Energiepolitik, gesellschaftliche Verantwortung

Ausgabe: 1998 | 4

Der neue Kanzler Gerhard Schröder regte 1995 als niedersächsischer Ministerpräsident die Landesenergieagentur an, die Gruppe ,Energie 2010' mit der Erarbeitung einer Projektstudie zu beauftragen. Deren Ziel sollte es sein, Potentiale und Handlungsfelder hinsichtlich der rationellen Energienutzung und -umwandlung (REN) sowie der Nutzung regenerativer Energiequellen (REG) zu erstellen. Die Resultate besagter Studie werden in der vorliegenden Publikation vorgestellt und erörtert.

Die Basis wird im Artikel ,Wohin mit dem Atommüll' gelegt. Altner, Michelsen und Stephan Kohler widersprechen dabei der Auffassung Michael Sailers vom Öko-Institut. Letzterer sieht in der Bürgerinitiative in Gorleben eine indirekte Förderung der Wiederaufbereitung in La Hague und Sellafield. Der Vorschlag der drei Autoren lautet daher dezentrale Zwischenlagerung, gekoppelt an einen Ausstieg aus der Atomkraft bis 2010. Aus Bedarfs-, Sicherheits- und Kostengründen sei "ein schneller Ausstieg aus der Wiederaufbereitung sinnvoll" (S. 23). Für die Zeit bis zum endgültigen Ausstieg eigne sich ein zentrales Endlager in tiefen geologischen Schichten, wobei wegen der gravierenden Bedenken der Eignung von Gorleben eine neue Standortsuche anstehe.

Die ,Gruppe 2010' sieht somit das Bekenntnis zu einer neuen Energiepolitik als zentrales Anliegen. Für die Tauglichkeit von REN und REG wird auf Basis der Werte für 1990 ein Szenario bis zum Jahre 2010 skizziert, das einen Rückgang der CO2-Emissionen um 10 % annimmt. Die auf den Umweltgipfeln selbst auferlegte Reduzierung um 25-30 % bis 2005 ist damit weit entfernt. Mittels kumulierter Zusatzinvestitionen von 220-375 Mia. DM bis 2010 sei mit REN ein um 15-22 % besserer Wert gegenüber der Referenzentwicklung zu erzielen. Zusätzlich würden Gesamtinvestitionen von 53-86 Mia. DM einen immensen Anwachs der Anteile von REG am Gesamtenergieverbrauch schaffen: Bereits in zwölf Jahren könnten 25-70 % der Stromnettoerzeugung durch REG gedeckt sein, gibt sich die Gruppe optimistisch. Zu alledem sei bei Erreichung der Zielwerte für 2010 eine entsprechende Fortsetzung der Wachstumsdynamik zu erwarten. Das technische Potential der inländischen, dezentralen Nutzung von REG sei 2050 weitgehend ausgeschöpft. Bis dort sei ein Beitrag von 50 % zur deutschen Energieversorgung denkbar. Zusätzliche 10% importierte REG, ein weiter verringerter Energieverbrauch und die Dominanz von Erdgas bei den fossilen Energieträgern mache einen CO2-Emissions-Rückgang um 80% wahrscheinlich!

Kurzfristige Maßnahmen zur Mobilisierung der REN/REG-Zielwerte bis 2010 seien die Einführung einer Energiesteuer, die Erleichterung des Netzzugangs für Kraft-Wärme-Kopplung und REG auch als wirksame CO2-Reduktionsmaßnahmen im Verkehr, wie z. B. die stufenweise Vorgabe zulässiger Flottenverbräuche und ein längerfristiger Verzicht auf den Zubau weiterer Straßen und Parkflächen.

Das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) in Berlin hat indes auch die Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt geprüft. Das Wachstum werde - und zwar auch bei einem nationalen Alleingang - nur leicht zurückgehen. Die Beschäftigungsauswirkungen hangen hingegen stark von der Verwendung des Steueraufkommens ab. "Alle Szenarien mit einer Reduktion der Lohnnebenkosten weisen deutlich positive Beschäftigungseffekte auf" (S.70).

Man darf schon gespannt sein, inwieweit Gerhard Schröder die theoretischen Erkenntnisse der von ihm beauftragten Wissenschaftler in die Praxis umzusetzen vermag.

B.E.

Zukünftige Energiepolitik. Konsens jetzt! Hrsg. v. Günter Altner ... Mit Beitr. v. Stephan KohIer ... Frankfurt/M.: VAS, 1998. 71 S. (Reihe: Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung;. 42) DM 76,- / sFr 74,/ ÖS 725,-