„Darth Vader ist also im Weißen Haus gelandet. Eine schwer atmende Projektion. Der Wahnsinn von der dunklen Seite der Macht. Pop ist an die Stelle der Wirklichkeit getreten.“ (S. 16) Ein Land, in dem „wie im TV gesehen“ bereits als Qualitätsbeweis gilt, mutet „aufrechten Demokraten“ einiges zu, falls sie nach dem 8.11.2016 den Glauben an Rationalität, Logik und Vernunft in der Politik bewahren wollen. „Die Erzählung der Politik als rationales, diskursives System muss aus der politischen Praxis auswandern“, schreibt der Publizist, Film- und Kulturkritiker Georg Seeßlen in seinem dünnen, prallen Büchlein „Trump! Populismus als Politik“ (S. 13).
Ein US-Präsident als Produkt der Popkultur: einsamer Westernheld, Rambo, eine Comic-Figur wie Iron Man als mächtigster Mann der Welt – das hat eine eigene Qualität. Seeßlen klärt einige (scheinbare) Widersprüche auf, welche die Wahl eines Emporkömmlings diesseits des Atlantiks noch immer als heftigen Betriebsunfall des US-Systems erscheinen lassen – trotz aller Lehren, die man aus dem Aufstieg von Silvio Berlusconi hätte ziehen können. In der „zweiten großen Erzählung“, jener von Entertainment, Emotionen, Effekten und populärer Mythologie (S. 9) „war eine Donald-Trump-Figur auf der Höhe von Macht und Reichtum stets vorhanden, hier als messianische Erwartung, dort als sarkastischer Bruch mit dem guten Geschmack und der systemischen Logik, vor allem aber als ambivalente Figur zwischen Faszination und Abscheu“ (S. 14). „Trump als zeitgemäße Variation des Volkshelden hat gewonnen, nicht obwohl, sondern weil er gegen Vernunft, Moral und Geschmack antrat“ (S. 20).
"Marke Trump"
Vom Cover der US-Ausgabe des Playboy im März 1990, als (angeblicher) Autor mehrerer Bestseller, Adabei zahlreicher TV-Serien und Kino-Filme (Kevin - Allein in New York, 1992; 54, 1998; Zoolander, 2001; Ein Chef zum Verlieben, 2002) und ab 2004 als Host seiner eigenen TV-Show – „die aus der fiesen Hire & Fire-Mentalität einen Vergnügungswert machte“, so Seeßlen in einem Interview auf heise.de – ist die „Marke Trump“ dem US-Wahlvolk längst vertraut. Für eine ähnliche Popularität hätte ein Richard Lugner hierzulande wohl ungeniert einen Körperteil geopfert.
Charakteren wie dem Finanzhai Gordon Gekko (Wall Street, 1987), dem schmierigen Casino-Betreiber Biff Tannen (Zurück in die Zukunft II, 1989) und dem exzentrischen Immobilienmogul Daniel Clamp (Gremlins 2 - Die Rückkehr der kleinen Monster, 1990) stand der spätere 45. Präsident der USA Pate. Auch im geizigen Simpsons-Milliardär C. Montgomery Burns und im Porno-Star und Wrestling Champion Dwayne Camacho, dem künftigen US-Präsidenten von 2505 (Idiocracy, 2006) sehen viele wesentliche Persönlichkeitszüge von Trump gespiegelt. Von der Figur und der Selbst-Inszenierung des genial-verrückten TV-Anchormans Howard Beale in „Network“ (1976 – eine weitere absolute Filmempfehlung!) scheint er sich vieles abgeschaut zu haben.
Ein wandelnder Widerspruch
Angesichts seines großteils ererbten Immobilienvermögens bleibt zwar umstritten, ob Trump dem in der populären Mythologie fest verankerten Archetyp des „Selfmademan“ tatsächlich entspricht [nie eindrucksvoller dargestellt als von Orson Welles in Citizen Kane] (S.32). Er verkörpert jedenfalls den, von Seeßlen beschriebenen, ihm inhärenten „wandelnden Widerspruch“: „Er wächst in eine Elite hinein, die er möglicherweise hasst und die möglicherweise ihn hasst, aber er kennt ihre Regeln und Interessen genau. Er übertrumpft alles, was diese Elite sich an Privilegien zugeschanzt hat, er karikiert ihre Arroganz wie ihre Rücksichtslosigkeit (natürlich ist Trump auch ein Liebling der Reichen), aber er bleibt auch wieder Volk, weil er in alledem vulgär ist, und vor allem: Er macht die Schweinereien selbst“. (S.36)
Sein Bild des „Volkshelden“, der es dem „Establishment“ zeigt, wird ergänzt „um den ‚Viehbaron‘ und Patriarch, den ‚Big Daddy‘, wie wir ihn aus dem Kino kennen, dem gegenüber die Frauen lustvolle Abhängigkeit zeigen“ (S. 42). „Und der Skandal?“, fragt der Autor. „Bill Clinton, der Vertreter des Establishments, ließ sich sexuell bedienen, in aller Heimlichkeit. Establishment eben. Der Volksheld, Selfmademan, Animationsclown und Wanderprediger wird selbst aktiv übergriffig und muss damit prahlen. Selbst in den trostlosen Gesten sexueller Gewalt unterscheidet sich der populistische Herausforderer von der verhassten Elite“ (S. 48).
Kein singulär amerikanisches Phänomen
Daran, dass Trumps Aufstieg [ebenso wie sein unvermeidlicher Fall?] kein singulär amerikanisches Phänomen ist, erinnert sein Umgang mit den Medien. „So wie einer als Held gegen das Establishment antreten und gewinnen kann, der niemand anderem dienen wird als eben diesem Establishment, so kann einer, der nur durch mediale Präsenz und mediales Echo zu Macht kam, die Medien als das Sündige darstellen“ (S. 70). Was hätte wohl Jörg Haider im postfaktischen Zeitalter mit Twitter angestellt?
Kulturpessimistischer Nachklang: Der Wahlsieg Trumps, der ab 1999 wiederholt mit dem Einstieg in die Politik kokettiert (und damit zumindest seinen „Markenwert“ und Buchabsatz erhöht) hat, wird in diesem Essay „nicht ‚erklärt‘, er ist auch nicht wirklich der Kern unserer Geschichte. Sie handelt davon, dass die Demokratie, so wie wir sie kannten (..), mit allen ihren Schwächen und Widersprüchen, nicht mehr der Normalfall sein wird und dass ihre Erzählung langsam im Nebel eines Diskursmärchens verschwindet“ (S. 137). (Unausgesprochenes) Thema ist für Seeßlen der drohende Faschismus. „Was ist, wenn mediale Kunstfiguren oder Phantasmen der kollektiven Triebsteuerung die Macht übernehmen?“ (S. 138), „..., wenn jede kritische Frage beantwortet wird mit ‚You’re fired!‘?“: „Die Demokratie ist nicht zu retten. Es sei denn, man würde sie neu erfinden“ (S. 139). Reinhard Geiger
Seeßlen, Georg: Trump! Populismus als Politik. Berlin: Bertz + Fischer, 2017. 140 S., € 7,90 [D], 8,20 [A] ; ISBN 978-3-86505-745-7