Wir Alpen!

Ausgabe: 2008 | 2

„In den Alpen arbeiten viele engagierte Menschen in ungezählten Initiativen als Zukunftsmacher“, schreibt Dominik Siegrist, Präsident von CIPRA International, in der Einführung zu diesem Band. Und in der Tat findet sich hier ein übersichtlicher Querschnitt an Aktivitäten, Engagement und Innovation quer über den Alpenbogen. Diese Entwicklung in seinen wichtigsten Themen wissenschaftlich zu begleiten war auch Ziel des Projekts “Zukunft in den Alpen“, dessen Ergebnisse hier vorgelegt werden. Zugegeben, die allzu weit gefassten Themen wie Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft lassen zunächst Zweifel aufkommen, ob man den einzelnen Bereichen gerecht werden kann. Im vorliegenden Report gelingt es aber, den Wandel und die Veränderung sichtbar zu machen und theoretisch zu untermauern.

 

Der erste Teil beschreibt in Form von Reportagen 15 beispielhafte, zukunftsweisende Projekte aus allen Alpenländern (als Teil jener 572 Projekte, die sich an einem alpenweit ausgeschriebenen Wettbewerb der CIPRA beteiligten). Die portraitierten Menschen zeigen eindrucksvoll, wie eine umwelt- und sozialverträglich Alpenzukunft aussehen könnte. Es geht etwa um eine kleine Gemeinde im Allgäu (Wildpoldsried), die Klimapolitik betreibt und dabei doppelt so viel Strom aus regenerativen Energiequellen erzeugt als sie verbraucht. Eine Dorfheizung, zehn Windkraftanlagen, eine Pflanzenkläranlage und ein erstes Passivhaus sind die Kernstücke dieser Anstrengungen. Andernorts wurde im Südtiroler Vinschgau die alte Schienenstrecke mit einer modernen Bahn wieder belebt. Betrieben von einer regionalen Organisation und mit kundenfreundlichem Fahrplan steigen inzwischen viele Einheimische auf die Bahn um. Im Jahr 2007 wurden die Prognosen mit zwei Millionen Fahrgästen weit übertroffen.

 

 

 

„Die CIPRA fordert deshalb in ihrem ‚Memorandum zur Zukunft in den Alpen’ den Erhalt und den Ausbau der regionalen Träger des öffentlichen Verkehrs, weil hier mit relativ geringen Mitteln wesentlich bessere Effekte für eine neue und nachhaltigere Entwicklung der Stadt-Land-Beziehung erzielt werden können.“

 

(Stefan Scheytt, S. 230)

 

 

 

Weiter geht es nach Grenoble, wo sich Biobauern und Verbraucher zusammengetan haben, um das Ziel der kurzen Wege zwischen Erzeugern und Verbrauchern zu realisieren. Als Verteilerstellen für die Mitglieder dieser Konsumenten-Kooperative fungieren u. a. auch Buchhandlungen. Ein anderes Beispiel ist die Qualitätsgemeinschaft Vorarlberger Holzbau, die eine nachhaltige regionale Verwertungskette für heimische Holzarten wie Fichten und Weißtannen geschaffen hat: vom Waldbesitzer über Sägewerke bis hin zu Zimmereien und Architekten. „Die Initiative ‚Holzbau-Kunst’ hat die Nachfrage für das Bauen mit Alpenholz verdoppelt.“ (S. 188) Auch die Gemeinde Lesachtal in Kärnten ist mit sanftem Tourismus, vielen kleinen Initiativen und Fördermitteln inzwischen zur Musterregion gereift. (Im Jahr 1992 wurde die Region auf der Stuttgarter Tourismusmesse als „Europas naturbelassenstes und umweltfreundlichstes Tal“ ausgezeichnet.) Schließlich sei noch der Schweizer Unternehmer Josias  F. Gasser genannt, der mit seinem Baustoffhandel beweist, dass Passivgebäude nicht nur der Umwelt, sondern auch der Bilanz seiner Firma gut tun.

 

Der zweite Abschnitt vermittelt den fachlichen Hintergrund zu den angesprochenen Themen. In Arbeitsgruppen ging es um Wirtschaft, Soziales, Naturschutz, Verkehr, Partizipation und Politik-Instrumenten im Alpenraum. Bemerkenswert sind die Forderungen von CIPRA zum Thema „Neue Entscheidungsfindung“ und Politik-Instrumente“. Voraussetzung dafür, so Bernd Hauser in seinem Beitrag, sei die Berücksichtigung allgemeingültiger Prinzipien wie Transparenz, Vertrauenswürdigkeit, Respekt vor anderen Meinungen und die Bereitschaft zu Kompromissen. Im Sinne der „Lokalen Agenda 21“ (seit der UN-Konferenz in Rio 1992 Entwicklungsziel) müssten Gemeinden „in einen Dialog mit Bürgern, örtlichen Organisationen und Unternehmen eintreten“ und „von ihnen lernen“, so geschehen etwa bei der Neugestaltung der Straße zwischen Wolfurt und Schwarzach im österreichischen Alpenrheintal oder bei der Flussumleitung bei Samedan im schweizerischen Oberengadin. A. A.

 

Wir Alpen! Menschen gestalten Zukunft. 3. Alpenreport. Hrsg. v. d. Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA International. Bern (u. a.): Haupt-Verl., 2007. 301 S., € 22,90, [D], 23,60 [A], sFr 36,-

 

ISBN78-3-258-07263-0