Wie zerstört man eine Demokratie?

Ausgabe: 2009 | 2

Die amerikanische Feministin Naomi Wolf, in den neunziger Jahren durch den Bestseller „Mythos Schönheit“ auch international bekannt geworden, legt mit diesem 2007 unter dem Titel „The End of Amerika. Letter to a Young Patriot“ im Original erschienenen Band, eine ausgezeichnet recherchierte und überzeugende Analyse der sukzessiven Aushöhlung der Demokratie im Verlauf der Präsidentschaft von George W. Bush vor. Wenngleich die Wahl von Barack Obama, der dezidiert auf Abraham Lincoln und die Väter der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 Bezug nimmt, die Schließung des Internierungslagers von Guantánamo zu einem seiner vorrangigen Ziele erklärt und ganz allgemein „den Wechsel“ – Change – zu seinem Programm erhoben hat, nun an der Spitze der USA steht, sieht die Autorin das Prinzip einer offenen Gesellschaft in ihrem Land nach wie vor gefährdet. Mit Blick auf die Praxis diktatorischer Regime (Hitler, Mussolini, Stalin oder Pinochet) arbeitet die Autorin in Form eines Warnbriefs an einen jungen Patrioten“ insgesamt „zehn Taktiken“ zur Zerstörung der Demokratie heraus, deren Gesetze in ihrem Land nach wie vor in Kraft seien. Auch wenn sie das nationalsozialistische Deutschland und die USA, Hitler und G. W. Bush nicht miteinander vergleichen möchte, so geht es ihr darum, Parallelen aufzuzeigen und auf die Zerbrechlichkeit des Gutes Demokratie aufmerksam zu machen. Die Dringlichkeit der Herausforderung steht dabei für Naomi Wolf außer Zweifel: „Uns allen – Republikanern, Demokraten, unabhängigen amerikanischen Bürgern – bleibt nicht viel Zeit, die Gesetze aufzuheben und jene Kräfte zurückzudrängen, die durchaus das Ende des amerikanischen Systems bewirken könnten, das wir von den Gründervätern geerbt haben – ein System der seit über 200 Jahren unsere Freiheit schützt.“ (S. 19)

 

Folgende zehn Prinzipien führt die Autorin als Nachweis für ihre These an: 1.) die Beschwörung einer äußeren und einer inneren Gefahr („Achse des Bösen“, Ausbau des „sicherheitsindustriellen Komplexes“); 2.) die Einrichtung von Geheimgefängnissen (verbunden mit der Verweigerung rechtsstaatlicher Verfahren); 3.) die Entwicklung einer paramilitärischen Truppe (Blackwater beschäftigt mehr als 2.300 Söldner in neun Ländern, darunter auch den USA); 4.) die Überwachung der Bürger (ab 2002 wurden im Zuge der Operation TIPS Millionen von Bürgern rekrutiert, um verdächtige Personen an die zuständigen Behörden zu melden, die Überwachung von Telefongesprächen, E-Mails und Bankkonten ist gängige Praxis); 5.) Infiltration von Bürgerbewegungen (FBI-Agenten ‚begleiten’ seit 2006 politische Demonstrationen und Versammlungen von Kriegsgegnern, obwohl derartige Aktionen nicht rechtskonform sind); 6.) willkürliche Verhaftung / Freilassung und Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Bürgern (die Behörde für die „Sicherheit des Transportwesens“ führt entsprechende Listen); 7.) die Verfolgung einzelner Bürger (Universitäten werden angehalten, Druck auf Kritiker des Präsidenten auszuüben, unliebsame Künstler wie die ‚Dixie Chicks’ wurden Repressionen ausgesetzt); 8.) Einschränkung der Pressefreiheit (nach einem Bericht der Organisation „ Reporter ohne Grenzen“ wurden „am 8. April 2003 ‚an einem einzigen Tag drei Journalisten durch die US-Armee getötet’“ (S. 190); 9.) die Diffamierung von Kritik als „Spionage“ und abweichender Meinung als „Verrat“; 10.) die Unterhöhlung des Rechtsstaats (unter anderem durch Exekutivbefehle des Präsidenten).

 

Auch wenn sich die Sorge von Naomi Wolf, dass die Regierung Bush „in Anbetracht eines solchen Verhaltens den Regeln für eine freie und gerechte Wahl nicht unterwerfen könnte“ (S. 232) als unbegründet herausgestellt hat, so sind die aufgezeigten Entwicklungen – auch über die USA hinaus – ein klares und mutiges Indiz für die Erosion demokratischer Prinzipien. Sich dieser Entwicklung bewusst zu sein und für die Bewahrung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzutreten, ist eine uns alle betreffende Aufgabe, auch wenn die zuletzt formulierte „Aufgabe des Patrioten“ – allzu martialisch formuliert – eben jene Mentalität aufgreift, gegen die Widerstand zu leisten, sie zu Recht auffordert: „Wir befinden uns tatsächlich im Krieg – in einem langen Krieg, einem globalen Krieg, einem Krieg um unsere Zivilisation. In diesem Krieg steht unsere Demokratie auf dem Spiel. Alle müssen sich zum Kampf melden. Wir können auf niemand verzichten“. Aber selbst hier sieht die Autorin – hier ganz der Tradition ihres Landes verpflichtet – Licht am Horizont, wenn sie abschließend formuliert: „Immer wieder ist es passiert, dass die Bürger zu tausenden Mauern eingerissen und solide Gefängnisse gestürmt haben. In unserem Land sind in schweren Zeiten die Bürger wieder Rebellen geworden und haben gesagt: ‚Nein, die Nation geht nicht unter, das lasse ich nicht zu.’ Wenn das geschieht, wird keine Macht der Welt die Patrioten zurückhalten.“ (S. 248) W. Sp.

 

Wolf, Naomi: Wie zerstört man eine Demokratie? Das 10-Punkte-Programm. München: Riemann, 2008. 283 S. € 16,- [D], 16,50 [A], sFr 28,-; ISBN 978-3- 570-500-98-9