Komplexe Dinge einfach zu erklären, ist wohl eine Kunst, die nur wenige beherrschen. Einer von ihnen ist Hartmut Graßl, seit 1994 als Direktor des Weltklimaforschungsprogramms in Genf der “Chefklimatologe” der UNO, der in der vorliegenden Abhandlung das komplexe Geschehen des Weltklimas und den mittlerweile wissenschaftlich kaum mehr bestrittenen Einfluß des Menschen darauf sehr anschaulich beschreibt. “Wenn Sie wissen wollen, was für Kapriolen das Klima in Ihrer Region schlagen wird, dann muß die Wissenschaft noch passen. Wenn die Frage jedoch lautet, ob wir Menschen die Zusammensetzung der Atmosphäre nachhaltig geändert haben, dann kann man das eindeutig mit Ja beantworten”, so Graßl unzweideutig. Der Meteorologe informiert über das Wirkungsgefüge des Klimas und seiner Bedeutung für den Menschen, die bereits gut entwickelten Instrumente, dieses zu beobachten und er erklärt, warum wir uns in einem “gefährlichen Klimaexperiment mit ungewissem Ausgang” und “langem Bremsweg” befinden. Zwei der vielen vom Autor benannten Beispiele mögen dies verdeutlichen: Die Reaktionszeit großer Eisschilde, die zu schmelzen beginnen, beträgt “mindestens Jahrhunderte”. Die Erhöhung der mittleren Sommertemperatur in Europa um nur ein Grad verschiebt die Waldgrenze langfristig um 200 Kilometer nach Norden.
Graßl betont die Notwendigkeit, globale Entwicklungen in ihrem komplexen Zusammenwirken zu betrachten, wobei er neben den vor allem von den Industriestaaten produzierten Treibhausgasen und den meßbaren Veränderungen in der Atmosphäre die Bevölkerungszunahme, die Schädigung und den Verlust von Böden sowie die Abnahme der biologischen Vielfalt als das Klima beeinflussende “Megatrends” ausmacht. So vermindert das Roden von Wäldern und Umpflügen von Steppen nicht nur die CO2-Speicherkapazitäten, sondern auch die Verdunstung bei gleichzeitig erhöhter Wärmeausstrahlung.
Energisch und in Summe doch optimistisch nach dem Motto: “Klimaschutz tut not und macht Spaß” skizziert der Klimaforscher schließlich eine Vielzahl von Wegen der Umsteuerung: diese reichen von “ehrlichen” Energiepreisen (einschließlich der Besteuerung des Flugbenzins) und einer ökologischen Subventionspolitik über die Anwendung des Verursacherprinzips (“Verursacher vortreten”) sowie ökologischen Verbraucherinformationen bis hin zu neuen Energielösungen, wobei der Klimaexperte auf die Ressourcen der Sonne ebenso wie auf neue technische Lösungen (etwa Brennstoffzellenantrieb für Fahrzeuge) setzt. “Nachhaltige Entwicklung setzt Klimaschutz voraus. Und dieser Weg führt uns ins zweite solare Zeitalter”, ist Graßl überzeugt. Solarenergie ist für ihn auch eine Schlüsseltechnologie für die Länder des Südens. Klimaschutz muß - dies betont der Experte mehrmals - zum Anliegen aller werden. Eine innovationsfreudige Industrie sei hier ebenso gefordert wie eine intelligente, ehrliche Politik, die “Umweltschonen leichter macht”. In diesem Sinne setzt Graßl vor allem auf Anreize, die Umweltverhalten belohnen und die Verursacher von Umweltschäden bestraft.
Die den Band beschließenden Beiträge von GastautorInnen aus Afrika, Indien, Kanada und Rußland über regionale Auswirkungen von Klimaänderungen (etwa durch El Nino) sowie eine Analyse zur steigenden Hochwassergefahr in Europa machen noch einmal das komplexe Wirkungsgefüge des Weltklimas deutlich.
H. H.
Graßl, Hartmut: Wetterwende. Vision: Globaler Klimaschutz. Frankfurt/M.: Campus, 1999. 240 S. (Visionen für das 21. Jahrhundert; 3) DM 36,- / sFr 35,- / ATS 263,-