Jonathan Franzen

Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?

Ausgabe: 2020 | 3
Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?

„Das Spiel ist aus. Der Petro-Konsumismus hat gewonnen.“ (S. 50) Der Klimawandel ist nicht mehr zu stoppen. Das ist die nüchterne, schonungslose Einsicht, die der Literat und Essayist Jonathan Franzen in seinem neuen schmalen Buch zur Klimafrage formuliert. Zu viel Kohlendioxid ist in der Atmosphäre, als dass eine Umkehr auf dem Weg der Erderwärmung noch möglich wäre. Seit dem Beginn der 1990er-Jahre, als die grundlegenden wissenschaftlichen Befunde zum menschengemachten Klimawandel bereits vorlagen, in den letzten 30 Jahren also, hat die Menschheit „so viel atmosphärisches Kohlendioxid produziert wie in den gesamten vorangegangenen zwei Jahrhunderten der Industrialisierung“ (S. 23). Damit haben sich die Fakten geändert, sagt Franzen. Irreversibel geändert. Weil allein die bereits jetzt installierte globale Infrastruktur das Maß an Emissionen ausschöpft, das emittiert werden darf, um das Zwei-Grad-Ziel zu halten. Weil keine Fehlentscheidungen passieren dürften, ohne dieses Ziel zu gefährden. Und weil die Menschen „hohe Steuern und erhebliche Einschränkungen ihres gewohnten Lebensstils“ hinnehmen müssten, „ohne dagegen zu rebellieren“ (S. 29), womit er insbesondere die Bevölkerung der Vereinigten Staaten anspricht. 

Das heißt, dass „wir nicht länger darauf hoffen können, vor den zwei Grad Erderwärmung bewahrt zu werden“ (S. 31). Das heißt aber nicht, dass Franzen (wie der Titel nahelegen könnte) den Klimaschutz generell preisgeben will. Im Gegenteil: Für Emissionsreduzierung sprächen starke praktische wie ethische Argumente. Eine Halbierung unserer Emissionen würde die unmittelbaren Auswirkungen der Erderwärmung abmildern und den kritischen Punkt hinauszögern. Franzen geht noch einen Schritt weiter, indem er die Agenden der Klimapolitik ausweitet. Sein Gedanke: Weil eine eskalierende Erhitzung des Planeten eine enorme Belastung für alle menschengemachten und natürlichen Systeme bedeuten wird, kommt allem, was die menschliche Zivilisation widerstandsfähiger macht, überragende Bedeutung zu. Alles, was „zu einer gerechteren und zivileren Gesellschaft beiträgt“ – der Kampf für Demokratie, für Gerechtigkeit, für Respekt, Toleranz und Pressefreiheit, für Gleichberechtigung von Rassen und Geschlechtern – „all das sind bedeutsame Klimaaktionen“ (S. 36).