Walter Spielmann: Robert Jungk. Ein Nachruf

Ausgabe: 1994 | 3

Blick zurück - nach vorn! Das Erbe des Netzemachers Robert Jungk

Es werden sich heute, da ich diese Zeilen in unserer "Bibliothek für Zukunftsfragen " schreibe, die Türen gewiss nicht öffnen. Kein Gruß, wie er uns während der letzten Jahre so lieb und selbstverständlich geworden ist; nichts von der freudigen Überraschung - zugleich stets auch erfüllte Erwartung -, dass hier an der Salzach zu ungewöhnlicher Stunde "gewerkt" wird. Robert Jungk, dem stets in Eile befindlichen „Hausherrn", dem "Feiertag" ein Fremdwort, weil- dem Naziterror nur knapp Entkommenen - jeder Tag des Lebens ein ihm geschenkter, somit ein Festtag war, ihm war es selbstverständlich, die gegebene Zeit voll auszuschöpfen! Einzig die Geburtstage seiner Familie konnten ihn für wenige Stunden im Jahr davon abhalten, uns nach Kräften davon zu überzeugen, dass wir als phantasiebegabte Wesen in der Lage sind, eine bessere Zukunft zu bauen. Dies nicht bloß als "Parole Zuversicht" auszugeben, sondern Stück für Stück zu belegen, dafür hat er ruhelos gelebt und in vielen Arenen gestritten. Solange, bis er zuletzt erleben musste, dass auch die Ruhe ihr Recht einfordert. Auch daraus noch hat er, der unermesslich Wissbegierige, gelernt, ohne jemals seine Hoffnung und seinen Optimismus aufzugeben. Die Belege für ein tatsächlich zukunftsfähiges Leben - das, wie wir alle wissen, so ganz anders aussehen muss, als es die Mehrheit der Fortschrittsverfechter noch immer verkündet - hat Robert Jungk mit sicherem Gespür für das Außerordentliche frühzeitig gesucht, sensibel wahrgenommen, weltweit gesammelt und unermüdlich bekanntgemacht. Dass er dabei in Schrift und Vortrag gleichermaßen zu überzeugen wusste (und dabei seine Widersacher im Gespräch zuweilen auch blass aussehen ließ), ist wohl darauf zurückzuführen, dass er es wie kein anderer verstand, komplexe Zusammenhänge aus Wissenschaft und Technik so darzustellen, dass sie einen, selbst wenn man anderer Meinung war, nicht gleichgültig ließen. Als großer Rhetoriker, der - aus eigener Erfahrung wissend, wovon er sprach - stets auch vor der Gefahr der Verführung durch das Wort warnte, ließ er Fach- zu Lebensfragen werden. Wie abenteuerlich und verschlungen sein Weg vom "Reporter der Angst" zum "Reporter der Hoffnung" war, hat er in der kurz vor seinem langsamen Abschiednehmen vollendeten Autobiographie "Trotzdem. Mein Leben für die Zukunft“ festgehalten. Es ist ein stattlicher Bericht geworden, und dennoch hat es Robert Jungk verstanden, Persönliches vor der (oft allzu neugierigen) Öffentlichkeit auszublenden. Dieses Anrecht auf eine Sphäre des Privaten war ihm und seiner Familie besonders wichtig, und für uns, die wir ihm nahestehen durften, war es selbstverständlich, dieses Anrecht nach Möglichkeit zu sichern. Ausschau haltend nach der Bedeutung Robert Jungks wie seines Werkes, das er in unermesslicher Fülle uns allen als Auftrag hinterlassen hat, gilt festzuhalten: Nicht Prophet, nicht Zukunftsforscher war er in erster Linie; er war - ich wage dieses Wort - vor allem Menschenfreund. Die einzigartige Synthese   von Neugier und Herzlichkeit, die ihn auszeichnete, hat ihn dazu befähigt. die unerschöpfliche Quelle des Selbstvertrauens und der Zuversicht in den Menschen zu wecken und ihnen zu zeigen, dass es tatsächlich auf den Beitrag jedes Einzelnen ankommt. wenn - auch wider die scheinbar unumstößliche Kraft des Beharrenden - eine bessere Zukunft Realität werden soll. Aus dieser eminent pädagogischen Begabung - und ich reihe ganz bewusst nach der Gewichtung seines Erbes - wuchs die Vitalität eines weit verzweigten Netzwerks von "Lebensrettern", ist die vielfältige Szene von „Zukunftswerkstätten" entstanden, und bemisst sich schließlich auch die Bedeutung seiner Stiftung, der "Bibliothek für Zukunftsfragen" in Salzburg. Alle drei Elemente - Netzwerk, „Zukunftswerkstatt" und Bibliothek - sehen sich ihres Mentors beraubt- und werden doch in dessen Sinne weitermachen. Die Phase der Ungewissheit - von der, zumindest auf den ersten Blick, die "Zukunftswerkstätten" am ehesten ausgenommen scheinen - ist zugleich auch eine Chance. Gewiss, es verliert die Gemeinschaft der „futurists“ einen weiteren ihrer Väter, aber kann dies nicht auch bedeuten, dass man eine in den letzten Jahren vor allem auch von Robert Jungk vehement vertretene Position aufgreift und teils erstarrte Strukturen durch neue ersetzt, bekannte Größen mit neuen Namen und Ansichten durchmischt? Sollte es nach der nunmehr überwundenen Phase quasi-ideologischer Diskussionen um die Art und Weise der „richtigen" Form der Zukunftswerkstatt - eine Debatte übrigens, der Robert Jungk selbst sehr skeptisch gegenüberstand - nicht doch gelingen, dieser vitalen Methode selbstbestimmten Lernens als Beitrag zur Weiterentwicklung der Demokratie auch viele feste Orte zu geben, ohne dass sie dabei Gefahr läuft, ihr gesellschaftskritisches Potential zu verspielen? Und schließlich: Wäre es nicht an der Zeit, eine weltweit nach wie vor einzigartige Bibliothek beispielsweise dadurch abzusichern und aufzuwerten, dass das vorhandene Potential fächerübergreifender Voraussicht und Übersicht - die Verstärkung der vorhandenen Kräfte vorausgesetzt - von Schulen wie Verbänden genützt wird und verstärkt auch in die Politikberatung einfließt? Einem ebenso ehrgeizigen wie richtungsweisenden Projekt wie der "Datenbank der Hoffnung", die in exemplarischer Vielfalt zeigen könnte, wie eine lebenswerte(re) Zukunft für alle zu erreichen wäre, sollten breites Interesse und Förderung sicher sein. Zu guter Letzt gilt es den uns von der Familie anvertrauten Nachlass Robert Jungks in Sorgfalt zu sichten und aufzubereiten, umso mehr, als er manche Überraschung verspricht. Das Engagement im Sinne Robert Jungks, es lohnt allemal und soll uns Verpflichtung sein! Walter Spielmann 

(Der Text wurde als Editorial für die ProZukunft-Ausgabe 3/1994 verwendet)