Thomas Fuchs

Verteidigung des Menschen

Ausgabe: 2021 | 2
Verteidigung des Menschen

Thomas Fuchs hat es sich zum Ziel gemacht den Menschen zu verteidigen – genauer gesagt seine Subjektivität. Diese ist in der Allgegenwärtigkeit von Wissenschaft und Erklärbarkeit des Lebens nämlich außer Mode geraten. Wie das passieren konnte und warum das Subjekt überhaupt verteidigungswürdig ist, erarbeitet Fuchs in einem wirklich beeindruckenden Werk über den Zugang der verkörperten Anthropologie.

Warum verkörpert? Weil die Wurzel allen Übels im Dualismus von Körper und Geist zu finden sei, beziehungsweise im Glauben alles in kontrollierbare Einheiten aufteilen zu können. Durch diese Trennung in analytische Einheiten, welche Erklärbarkeit und damit Kontrollierbarkeit implizieren, wird der Körper nur noch zur fleischlichen Hülle für den Geist oder auch das Gehirn, welches diesen enthalten soll. Daraus entstehen wiederum allerhand real-weltliche und für uns alle spürbare Folgen. Wir beginnen uns selbst wie Maschinen zu sehen, trotz dessen, dass diese von uns als unsere Helfer erfunden wurden – das Verhältnis kehrt sich quasi um. Daraus resultieren Unsterblichkeitsfantasien der Transhumanisten und der Glaube aus Daten und Algorithmen menschenähnliche Wesen erschaffen zu können, in welchen wir weiterleben. Davor allerdings macht uns dieses Verständnis bereits zu grundlegend manipulierbaren, optimierbaren und verbesserungswürdigen Maschinen. Thomas Fuchs besinnt sich zurück. Darauf, dass der Mensch eine Einheit aus Körper und Geist ist, welche im eigentlichen Sinne untrennbar miteinander verbunden ist, die aber auch immer im Verhältnis zu anderen und der Umwelt steht. Darin gerinnt unsere Subjektivität, welche sich nicht in Maschinen oder ähnlichem replizieren lässt. Damit setzt er alles wieder ins Verhältnis, befreit uns von der Hoffnung auf menschenerzeugte und menschenähnliche Lebewesen und nimmt uns damit auch den Schrecken dieser vorbestimmten Zukunft.

Eine Klarstellung darüber, wie verquer unsere Lebenswelt geworden ist

Fuchs erteilt dem „szientistischen Weltbild“, welches unser Leben als lang gewachsenes Narrativ nachhaltig und in allen Lebensbereichen beeinflusst, eine Absage. Sein Buch der verkörperten Anthropologie ist wie ein literarisches „auf den Tisch hauen“ und eine Klarstellung darüber, wie verquer unsere Lebenswelt geworden ist. Er zeigt uns, wie diese Denkschemata entstanden sind, wie diese Entwicklungen in der Digitalisierung, KI- und Neuro-Forschung sowie Virtualität ihren derzeitigen Höhepunkt finden. Gleichzeitig enttarnt er sie als die Geschichten einer Determinismus-Doktrin, die sie sind. Und das, indem er immer wieder die Abstrusität dieses Dualismus in den Begrifflichkeiten von Bewusstsein, Intelligenz, Wahrnehmung, Empathie, Freiheit und Personalität durchdekliniert. Alles mit beeindruckender Kenntnis über die Fachgebiete seiner „Gegner“ und deren Glaubenssätzen. Implizit rückt er damit auch den Tod und seine Unabwendbarkeit mit einer fast erleichternden Wirkung wieder ins Leben zurück; weil man sich nun wieder als Mensch fühlen kann, als eine Einheit aus Stoff und Geistigkeit: „Zweifellos stellt die Endlichkeit die größte Bürde der menschlichen Existenz dar. Sie ist aber, näher besehen, auch die Vor-aussetzung ihres Sinns, ihrer Ernsthaftigkeit und ihrer Würde.“ (S. 97)

Das Buch ist eine echte Wohltat

In einer Zeit, in der der Technikglaube allgegenwärtig ist und sich der Mensch teils darin verlieren muss, ist dieses Buch eine Wohltat. Nicht ohne dabei viel von seinen Lesern und Leserinnen abzuverlangen. Die Ausführungen gehen an die Substanz von technischem Fortschritt und philosophischen Grundfragen der Menschheit. Wer sich hier jedoch durchgekämpft hat, wird am Ende vielleicht ein wenig der Menschlichkeit in sich wiederentdeckt haben, die uns so unbestreitbar von Maschinen unterscheidet. Damit gibt er uns ebenso den Handlungsspielraum zurück, der in einer Subjektivität und deren libertarischen Freiheit begründet liegt. Diese vereint auf völlig natürliche Art und Weise deterministische Elemente und die Offenheit für die Zukunft in sich, so unvereinbar sie auf den ersten Blick auch scheinen. Damit bestreitet er jedoch nicht die Wissenschaft, deren Erkenntnisse und Errungenschaften an sich. Er rückt diese vielmehr wieder ins Verhältnis zu uns und zeigt, wie sie dieser wiederentdeckten Menschlichkeit dienlich sein können – ohne sich dabei selbst zu Sklaven dieser zu erklären.