
„Warum noch hoffen? Kann man überhaupt noch hoffen in dieser Zeit?“ (S. 11) In einer Zeit, da die Menschheit sich in einer dreifachen existenziellen Krise befindet, deren ineinandergreifende Arme Erderhitzung, Zusammenbruch der Artenvielfalt und die Risiken von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz je für sich immense Ausmaße und unabschätzbare, unvorstellbare Konsequenzen in sich bergen? Das sind die Ausgangsfragen, denen sich das neue Buch des Schriftstellers und Historikers Philipp Blom stellt. Es begibt sich „auf die Suche nach einer klugen Form der Hoffnung“ (S. 22). Und sucht „zu verstehen, wie Hoffnung in der Gegenwart möglich ist“ (S. 41). Das ist nicht nur wegen der Dimension der Krisen, mit denen wir konfrontiert sind, eine schwierige Frage. Sondern vor allem, weil die geistigen Fundamente, auf denen frühere Generationen ihre Hoffnungen gebaut haben, brüchig geworden sind. Denn „es gibt keine große Erzählung mehr, an der wir selbstverständlich teilhaben könnten“, schreibt der Autor (vgl. S. 63f). „Die Erinnerung, auf der unsere Hoffnung stehen sollte, ist beschädigt“, die Erinnerungen, die Identitäten, die Erzählungen haben an Bindungskraft verloren (S. 118). Denn die Religionen, die Ideologien, die großen Visionen haben ihre Verbindlichkeit verloren. An ihre Stelle ist die Wahrung des Status quo getreten.
Über Hoffnung zu sprechen, heißt aber über Geschichten zu sprechen, „denn jede Hoffnung erzählt dir eine Geschichte“, schreibt Blom (S. 98). Und umgekehrt sind Geschichten der Schlüssel zur Hoffnung. Geschichten stellen Zusammenhänge hier, sie konstruieren Sinn. Und so findet Bloms Suche nach der Möglichkeit von Hoffnung ausgerechnet – ja: gerade – bei Albert Camus eine Fährte, einen Leitgedanken.
Hoffnung braucht eine Geschichte
Camus hat den Mythos des Sisyphos neu erzählt: die Absurdität des Lebens zu akzeptieren als Möglichkeit, mit dieser umzugehen. Blom interpretiert Camus nun neu. Nicht im Akzeptieren des Schicksals, den Stein auf Ewigkeit den Berg hinaufrollen zu müssen, liege die Antwort, sondern in der Geschichte an sich, der Geschichte, die Camus neu adaptiert: „Er erzählt eine Geschichte, in der wir unser Leben spiegeln können, er schafft Sinn“ (S. 100). Und das ist der Punkt: die Erzählung. Ein Narrativ, das Sinn gibt. „Hoffen können heißt vielleicht auch, sich über diese unerträgliche Brüchigkeit des Lebens hinwegzuretten, in dem du deine eigene kleine und zerbrechliche Geschichte in eine größere Erzählung einfädelst“, schreibt Blom an eine nicht bekannte andere Person gerichtet (dieser Bezug gibt dem Buch seinen formalen Rahmen) (S. 131). Vielleicht muss es auch keine der alten, „großen“ Erzählungen mehr sein, aber es braucht ein Narrativ, das verbindet, das Gemeinsames schafft, damit Hoffnung entstehen kann. „Eine Gesellschaft braucht Geschichten, die zwischen den vielen individuellen Erzählungen vermitteln“, so Blom (S. 135).
Handlungsraum als Notwendigkeit
Das ist der erste Schritt. Hoffnung braucht jedoch nicht nur eine Geschichte, sondern auch einen Handlungsraum. Sie braucht Strukturen, in denen man handeln kann. Für Blom nicht nur eine politische Frage, sondern auch eine persönliche. Seinen persönlichen Handlungsraum auszuweiten, erfordere eine Technik, erfordere handwerkliche Fähigkeiten, um sein eigenes Tun zu strukturieren. „Hoffnung in einer Gemeinschaft zu stärken und auf Transformation hinzuarbeiten, scheint mir dann am besten möglich, wenn es zu einer Art Handwerk wird, zu einer persönlichen Disziplin, eine Art Leben zu kultivieren, das absichtsvolles Handeln und Gestalten ermöglicht.“ Gefragt sei eine „Art der tätigen Hoffnung“ (S. 155). Der Weg führt also vom Prinzip zur Praxis, von der konkreten Utopie zum konkreten Handeln.
Möglichkeitssinn als essenziell
Und noch etwas braucht es: einen Möglichkeitssinn, der lehrt, die Wirklichkeit anders zu denken. Einen Möglichkeitssinn, wie ihn Robert Musil dem Wirklichkeitssinn entgegengesetzt und zur Seite gestellt hatte: das Beharren, „es könnte wahrscheinlich auch anders sein“. Für Blom realisiert sich hierin der Akt der Rebellion, den Albert Camus gefordert hatte: Dies beginnt damit, „Möglichkeiten zu schaffen und einen Sinn zu setzen, wo keiner ist“. Und „Möglichkeiten zu sehen, wo sie nicht vorgesehen sind“ (S. 175). „Hoffnung entsteht aus der Weigerung, sich einfach ins Unvermeidliche zu schicken“ (S. 180). Das löst die Hoffnung von großen Zielen und lenkt den Blick auf das tägliche Leben, auf die tägliche Praxis, auf „das tätige Leben und Lieben und Gestalten, die Verletzlichkeit des Handelns, der Bezogenheit“. Hoffnung also als individuelle Praxis, die sich einfädelt in eine größere Erzählung.