Vermag die ökologische Vernunft im letzten Moment die Selbstzerstörung des Menschen zu verhindern oder deutet nicht vielmehr alles darauf hin, daß wir zwar wissen, was wir tun sollten, aber dennoch schaurig lustvoll gegen dieses Wissen handeln. Auf der Suche nach Gründen für diese praktische Unvernunft des vom protestantischen Geist geprägten Industriezeitalters spannt Eder einen weiten Bogen. Er geht von der These aus, daß sich an den Ausbeutungsdiskurs der ökologische Belastungsdiskurs zwar nahtlos angeschlossen habe, die Einstellung zum "Gegenstand Natur" im Wesentlichen aber unverändert geblieben sei: Hier wie dort wird Natur als Objekt menschlicher Bedürfnisse definiert, was einer Fortschreibung naturalistischer Evolutionstheorien gleichkommt. Die Kritik an diesem einseitigen, gewissermaßen um die symbolische und religiöse Dimension verkürzte Aneignung von Natur wird im zweiten Teil ergänzt durch komparative Analysen von Eßtabus in verschiedenen Gesellschaften.
Da Essen "eine elementare Form des Übergangs von Natur zu Kultur ist", können hier die Bedingungen einer sozialen Evolution besonders gut verdeutlich werden. Diese umfaßt notwendigerweise auch kulturelle Lernprozesse, durch die eine Gesellschaft Formen verantwortlichen Handelns fest... legt. Im Folgenden wird nachgewiesen, daß die Moderne durch fortschreitende natürliche und soziale Teilung die höchste Komplexität in der Menschengeschichte der Natur erreicht hat. Daraus jedoch zu schließen, daß damit die moralische Evolution notwendigerweise Schritt hält und daher in der Industriegesellschaft kulminiert, sei ein weit verbreiteter Mythos der klassischen Evolutionstheorie.
Die Frage "Zurück zur Natur?" diskutiert der Autor am ambivalenten Eßverhalten der Moderne, das zwischen Naturkostbewegung und „Industrial food" oszilliert. Im vierten Abschnitt wird schließlich die Möglichkeit der Evolution der praktischen Vernunft aufgegriffen und vertieft. In der Auseinandersetzung um "Ausstieg" oder "Weitermachen" steht nach den Themen Freiheit und Gerechtigkeit "der praktische Gebrauch des vorhandenen Wissens, die praktische Rationalität im Umgang mit der Natur" zur Diskussion. Soll unser Handeln nicht zu einer "Tyrannei des technischen Fortschritts" verkommen, sind moralisch-kulturelle Lernprozesse unumgänglich. Sie zu erarbeiten ist Aufgabe der Ökologie.
Wer sich die Mühe macht, das sprachliche Dickicht soziologischer Terminologie in bester Frankfurter Manier zu durchdringen, wird entsprechend belohnt. Der Text erweitert den Zugang zum Ökologiediskurs entscheidend. Wenn Worten Taten folgen sollen, dann gilt es nicht nur Naturzusammenhänge zu verstehen, sondern soziokulturelle Verhaltensmuster zu verändern. Diese Auffassung verdient, ernst genommen zu werden. Damit sind aber auch die Geisteswissenschaften gefordert, die Ökologie zu ihrem Gegenstand zu machen.
Eder, Klaus: Die Vergesellschaftung der Natur. Studien zur sozialen Evolution der praktischen Vernunft. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1988. 434 S. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; 714) DM 24,- / sfr 20,30 / öS 187,20