Ideologische „Natur“

Ausgabe: 2017 | 2
Ideologische „Natur“

Timothy Morton: Ökologie ohne NaturWenn wir über „Natur“ und „Ökologie“ reden, sind wir oftmals sehr ungenau. Das könnte Timothy Morton nicht passieren. In seinem philosophischen Buch „Ökologie ohne Natur: Eine neue Sicht der Umwelt“ wirft er einen gewissenhaften Blick darauf, wie wir über Natur, Natürlichkeit und Ökologie denken und die Begriffe verwenden. Morton hat Englische Literatur studiert und unterrichtet an verschiedenen amerikanischen Universitäten, seit 2012 an der Rice University. Er kombiniert die Wissensbereiche Literaturwissenschaft, Ökologie und Philosophie.

Er argumentiert, dass in einem ökologischen Stadium der menschlichen Gesellschaft der Begriff ‘Natur’ wird verkümmern müssen. Er beginnt mit dem Nacherzählen, wie der aktuelle Naturgedanke entstanden ist, und welchen Einfluss er auf Kunst und Kultur hatte. Morton kritisiert, dass man das, was gemeinhin Natur genannt wird, auf ein Piedestal gestellt hat und von Weitem bewundert, Natur wurde so zu einem transzendentalen Prinzip. Im Namen all dessen, was man an Natur schätze, untersucht er, wie Natur als transzendentale, einheitliche und unabhängige Kategorie entstehen konnte.

Morton meint, dass die Natur ein notorisch schlüpf-riger Begriff geworden sei. In seiner Weigerung, irgendeine Konsistenz beizubehalten, war „Natur“ Ideologien aller Art dienlich. (S. 26) Schlimmer noch: Konsistenz weist dagegen der Begriff „unnatürlich“ auf. Wenn man sage, etwas sei unnatürlich, meint man, dass es keiner Norm entspricht, die so ‘normal’ wäre, dass sie in das Gefüge der Dinge eingebaut ist.

Morton unterscheidet die Substanz und die Essenz der Natur. Unterschiedliche Umweltvorstellungen ziehen unterschiedliche Gesellschaftsformen nach sich. Substanzialistische Vorstellungen einer greifbaren, eindeutigen Natur, die zumindest in einem tatsächlich existierenden Phänomen zum Ausdruck kommt, erzeugen autoritäre Formen kollektiver Organisation. Vorstellungen einer Natur, die nicht als Bilder wiedergegeben werden können, die also essenzialistische sind, unterstützen dagegen egalitäre Formen.

„Die Natur als Idee ist nur allzu real und sie hat eine allzu reale Wirkung auf allzu reale Glaubensvorstellungen, Handlungsweisen und Entscheidungen in einer allzu realen Welt. Es stimmt, ich behaupte, es gäbe nichts dergleichen wie Natur, wenn wir unter Natur etwas Singuläres, Unabhängiges und Dauerhaftes verstehen. Aber es gibt verblendete Ideen und ideologische Fixierungen. Natur ist ein Brennpunkt, der uns zwingt bestimmte Haltungen einzunehmen.  Und der gegenüber diesem faszinierenden Objekt eingenommenen Haltung wohnt Ideologie inne. Indem wir das Objekt auflösen, machen wir die ideologische Fixierung unwirksam.“ (S. 34) So sieht denn Morton auch nichts Paradoxes darin im Namen der Ökologie auszurufen: „Nieder mit der Natur!”

Bei Amazon kaufenMorton, Timothy : Ökologie ohne Natur. Eine neue Sicht der Umwelt. Berlin: Matthes u.Seitz, 2016. 351 S., € 30,- [D], 30,90 [A] ; ISBN 978-3-95757-255-4