Sozialstruktur und Sozialer Wandel in Österreich

Online Special

Einerseits präsentiert der Wiener Soziologe Alfred Reiterer eine Menge Daten, Graphiken und Tabellen über soziale Gegebenheiten in Österreich, wobei das empirische Material zum Großteil aus Erhebungen des Statistischen Zentralamts stammt. Andererseits bietet er zu jedem Teilgebiet eine knappe, aber grundlegende theoretische Einführung, wie sie nicht nur für erstsemestrige Soziologiestudenten höchst nützlich sein mag. Dem Autor ist auch voll zuzustimmen, wenn er für die Soziologie die Notwendigkeit betont. Theorie und Empirie miteinander zu verklammern. Doch gerade hierin läßt sein eigenes Werk einiges zu wünschen übrig. Theorie- und Empiriekapitel stehen gelegentlich recht unvermittelt nebeneinander. Was hat beispielsweise das Urchristentum mit den aktuellen Kirchenaustrittsziffern zu tun? Dennoch hat der Band auf empirischer wie theoretischer Seite seine Meriten. Die empirischen Daten fügen sich zu einem facettenreichen Bild des gegenwärtigen Österreich zusammen. Bevölkerungsstand, Wirtschaft, Religion und Kultur werden detailreich aufgeschlüsselt und vor dem Hintergrund historischer wie auch internationaler Vergleiche interpretiert.

Was die Theorie betrifft, so übt Reiterer heftige Kritik an biologistischem Gedankengut, wie es etwa der Verhaltungsforscher I. Eibl-Eibesfeldt vertritt. Ebenso dezidiert grenzt er sich vom Logischen Positivismus eines Karl Popper ab. Doch auch den apokalyptischen Visionen des Club of Rome kann er wenig wissenschaftlichen Gebrauchswert abgewinnen. Im Bereich der Wirtschaft tritt er in scharfen Widerspruch zu den heute dominierenden neoliberalen bzw. neokonservativen Ansätzen und plädiert stattdessen für eine Reform des Sozialstaats. Dessen Errungenschaften sollten mehr als bisher jenen zugutekommen, die ihrer tatsächlich bedürfen. Soziale Gerechtigkeit bleibt für Reiterer, ganz im Gegensatz zum Zeitgeist, nach wie vor eine zentrale Kategorie im politischen und ökonomischen Diskurs.

Ärgerlich ist (neben den unzähligen Druckfehlern), daß bei weitem nicht alle im Text zitierten Werke auf der Literaturliste zu finden sind. Besonders bei einem Buch, das bereits in zweiter Auflage erscheint hätte man etwas mehr redaktionelle Sorgfalt erwartet.

R.L. 

Reiterer, Albert  F: Moderne Gesellschaften. Sozialstruktur und Sozialer Wandel in Österreich. Wien: WUV-UniversitätsVerl., 1998. 315 S. (WUV Studienbücher Sozialwissenschaften; 3) DM 40, - / sFr 37, - / öS 292,-