Diskussionen über ein zukunftsfähiges Europa kreisen zunehmend um die Frage, welches Europa wir eigentlich wollen. So auch der Hamburger Ökonom Reinhard Crusius, der ein über 500 Seiten starkes Kompendium der Krise in Europa verfasst hat. Er sieht u. a. nicht, „wie wir politisch heute oder morgen ohne schwer kalkulierbare Risiken aus dem Euro herauskommen“ (S. 9). Deshalb sucht er nach Lösungen für eine ganz andere Euro-Politik. Zu prüfen wäre seiner Ansicht nach, „ob unterschiedliche Ökonomien, d. h. auch unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten, innerhalb Euro-Europas so organisierbar sind, dass wir zwar eine solidarische Wertegemeinschaft, aber keine Schuldenhaftungs-Gemeinschaft werden“ (S. 9). Bedenkt man, wie weit wir gegenwärtig von einer Solidargemeinschaft entfernt sind, ist diese Überlegung reines Wunschdenken.
Beunruhigt zeigt sich Crusius über das „brachial-liberale“-Politikkonzept, das nach Griechenland allen anderen Krisenländern übergestülpt wurde, und auch über die Rettungsmaßnahmen, die höchst undemokratisch, unwirtschaftlich, gemeinschafts- und europaschädlich und ungemein belastend für die „deutschen Steuerzahler“ sind (vgl. S. 11).
Schließlich unterbreitet der Volkswirt Vorschläge, die in einen umfassenden „Europa-Plan“ münden. „Statt bürokratischer Zentralisierung gemeinsam gesetzte und von Subsidiarität geprägte Ziele und Maßnahmen; statt uferlosem Wettbewerb mehr Kooperation; statt rein marktinduziertem Gewinnstreben mehr gemeinwohlorientierte Staatsmächtigkeit; statt wettbewerbsinduziertem Einheitsbrei regionale Vielfalt und kulturellen ‚Artenschutz‘, statt steigender Monopolisierung durch internationale Konzerne Förderung mittelständischer Vielfalt und genossenschaftlicher Wirtschaftsweisen; statt Verteilungskrieg kooperative Gestaltung des Hauses Europa; statt Casino-Kapitalismus soziale Marktwirtschaft, die diesen Namen verdient; statt nur Wirtschafts- schließlich auch eine Sozialunion! Das sollte der Weg der Zukunft sein: ein soziales und freies, also wirklich liberales Europa!“ (S. 12) In einem Interview der Deutschen Wirtschaftsnachrichten fügte Crusius noch als dringlichste Forderung hinzu: „Statt ‚nur sparen‘ ein Sorgen für nachhaltig umweltschonendes Wachstum und öffentliche Investitionsprogramme, die den Millionen arbeitsloser Menschen, vor allem den arbeitslosen Jugendlichen, wieder glaubwürdige Hoffnung geben - und die Schuldenzuwächse der öffentlichen Hände eher abbauen als die jetzige wirtschaftszerstörerische Sparpolitik es kann“. (nachzulesen unter DWNonline)
Als leidenschaftlicher Europäer versucht Crusius zu skizzieren, wie unterschiedlich entwickelte Volkswirtschaften einigermaßen „sozialverträglich“ aneinander zu binden sowie Einheit und Verschiedenheit unter einen Hut zu bringen wären. Ein mehr als ehrenwertes Ansinnen. Alfred Auer
Crusius, Reinhard: Rettet Europa, nicht nur die Banken! Marburg: Tectum-Verl., 2014. 514 S.,
€ 18,95 [D], 19,60 [A] ; ISBN 978-3-8288-3292-3