Der Begriff „Nachhaltigkeit“ hat derzeit nicht unbedingt Konjunktur. Zwar hat er in so gut wie allen Sektoren verantwortungsvoller Zukunftsorientierung Eingang gefunden, wurde verbunden mit unterschiedlichsten, sich auch widersprechenden Erwartungen, angereichert mit zweckdienlichen Daten und Fakten oder mit Normen und Werthaltungen in Verbindung gebracht. Kein Wunder also, dass dem Begriff vielfach mit Skepsis, zuweilen auch Misstrauen begegnet wird. Edgar Göll, renommierter Zukunftsforscher am Institut für Zukunftsstudien (IZT) in Berlin, und derzeit als Inhaber des Robert-Jungk-Stipendiums 2011 der Stadt Salzburg an der JBZ engagiert, hat zwei höchst unterschiedliche und gleichermaßen relevante Bücher zum Thema Nachhaltigkeit unter die Lupe genommen. Das eine erörtert Status und Perspektiven der Umsetzung von Nachhaltigkeit im Spektrum des Politischen; das andere nimmt Voraussetzungen eines tiefgreifenden, kulturellen Wandels in den Blick. So unterschiedlich die Zugänge auch sind – Zukunftsfähigkeit wird es wohl nur geben, wenn es gelingt, beide Perspektiven miteinander zu verbinden und somit eine in vielen Hinsichten „neue Qualität“ – eben Nachhaltigkeit zu leben.
Nachhaltigkeit regieren
Nachhaltige Entwicklung ist der Intention nach das Leitbild für das 21. Jahrhundert und läuft darauf hinaus, die unzähligen bisherigen, nichtnachhaltigen Lebensstile und Produktionsweisen zu überwinden und umzusteuern, damit die Existenz der Menschheit nicht durch Übernutzung ökologischer, sozialer und ökonomischer Systeme vernichtet wird. Im Laufe der Befassung mit dieser historischen Herausforderung wird zunehmend klar, dass zwar einzelne Projekte und Instrumente unerlässlich sind, dass aber all diese Maßnahmen noch längst nicht hinreichen, den dringend erforderlichen Kurswechsel zu realisieren. So könnte dem vorliegenden Buch ein Zitat von Al Gore als Motto vorangestellt werden: „It’s important to change lightbulbs, but more important to change policies and laws.“ (The Guardian, 7.11.2009). Daher thematisieren sowohl Praktiker als auch Wissenschaftler inzwischen das Regieren, das Politikmachen als wesentliche Stellschraube: Sustainable Governance wird einer kritischen Analyse unterzogen und bisherige Erfahrungen unterschiedlicher Ansätze verschiedener Länder ausgewertet.
Das Buch von Steurer/Trattnigg dürfte im deutschen Sprachraum zu einem Meilenstein für diese Thematik avancieren. Denn darin fließen im besten Sinne sowohl zahlreiche Erfahrungen und empirische Auswertungen als auch theoretische Konzepte zusammen, darin ergänzen sich Prak- tikerInnen und AkademikerInnen auf beispielhaft konstruktive Art. Genau diese Kombination verkörpern die beiden Herausgeber des Sammelbandes: Steurer ist Politikwissenschaftler an der Wiener Universität für Bodenkultur mit dem Schwerpunkt Governance, Unternehmensverantwortung und Klimapolitik, Trattnigg ist im österreichischen Lebensministerium im Bereich Nachhaltige Entwicklung tätig und nebenbei mit Moderation und einer Dissertation befasst. Sie haben ausgewiesene deutschsprachige MitautorInnen einbezogen, darunter Julia Hertin, Klaus Jacob, Jill Jäger, Dietmar Kanatschnig, André Martinuzzi, Ingeborg Niestroy, Joachim Spangenberg und Jan-Peter Voß.
Das Thema wird in fünf Abschnitten sehr dicht bearbeitet: eingangs wird von den Herausgebern das Themenfeld umrissen und wesentliche Herausforderungen angesprochen, die im Weiteren vertieft werden. Im zweiten Abschnitt wird die Herausforderung „Politik-Integration und Kohärenz“ ausgiebig diskutiert, basierend auf verschiedenen aktuellen Studien die Schwierigkeit erläutert, ressortübergreifend zu arbeiten. Ein weiterer zentraler Bereich des Regierens von Nachhaltigkeit ist „Partizipation“, dem sich zwei Kapitel widmen. Diese Thematik findet sich dann aber auch im vierten Abschnitt wieder: „Langfristigkeit und Reflexion“, wo entgegen den dominierenden Zwängen kurzfristigen Entscheidens und Regierens mehrere Praxisbeispiele zu deren Überwindung oder zumindest Ergänzung vorgestellt und erörtert werden. Und immer wieder wird beschrieben, wie sensibel und reflektiert die komplexen Kommunikations- und Kooperationsprozesse gestaltet und der jeweiligen Situation angepasst werden müssen, um die Potenziale nachhaltiger Vorgehensweise und deren Durchsetzung zu ermöglichen. Beispielhaft wird dies an der deutschen Peer Review dargestellt: als der Vorsitzende der Peers monierte, in der deutschen Nachhaltigkeitspolitik fehle jegliche Zielvorstellung und ihm entgegengehalten wurde, man halte hier eben nicht viel von sozialistischer Planwirtschaft und Planung, entgegnete er, „dass er als Konzernmanager natürlich nicht von Planwirtschaft (…), sondern von Business Plänen“ rede, und die fehlten in Deutschland (S. 225, Fn. 51). Im fünften Abschnitt wird insgesamt eine bedenkliche Bilanz gezogen und von den beiden Herausgebern ein Ausblick versucht – dabei zeigen sie auch Potenziale und Grenzen von Sustainable Governance im Hier und Heute auf.
Der generelle Befund ist ernüchternd und eindeutig: Nachhaltigkeit spielt im Alltagsgeschäft des Regierens bisher kaum eine Rolle, ist vielmehr Spielfeld für besonders motivierte Einzelpersonen oder für Einzelmaßnahmen in Ministerien und Verwaltungen. Nachhaltigkeit gilt immer noch als ein Thema unter zahlreichen anderen, und wird meist nur symbolisch behandelt. Daher benutzt Steurer auch den Begriff der „verwalteten Nachhaltigkeit“ und stellt diesem den Begriff einer „regierten Governance für nachhaltige Entwicklung“ gegenüber, „ein normativ aufgeladenes, anspruchs- und voraussetzungsvolles Reformkonzept zur Art und Weise, wie politische Entscheidungen getroffen werden.“ (S. 264) Einen sehr guten Einblick in die Mühen der Ebene nachhaltiger Politik bieten die Kapitel, die einzelne Konzepte und deren bisherige Nutzung beschreiben. An den Beispielen der Integration europäischer Umwelt-, Innovations- und Industriepolitik, qualitätsvoller Öffentlichkeitsbeteiligung, der Partizipation bei Nachhaltigkeitsstrategien, partizipativer Szenarienentwicklung, der Evaluation und Bewertung einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie und Peer Reviews solcher Strategien in vier EU-Staaten wird tatsächlich belegt, wie voraussetzungsvoll Nachhaltigkeit ist. Besonders weit konzipiert und angewendet ist das „Transitionmanagement“ (TM) in den Niederlanden, das eine Weiterentwicklung der seit Jahrzehnten praktizierten nationalen Umweltplanung (NEPP 1 bis 4) darstellt und damit an einer fortgeschrittenen Gestaltungskultur anzusetzen vermag. Kanatschnig/Pelikan beschreiben anschaulich, wie unzählige Aspekte ineinander greifen müssen, damit dieser anspruchsvolle Steuerungsansatz gelingt. Sie resümieren, dass TM „die Umsetzung einer langfristigen Perspektive in kurzfristiges Entscheiden und Handeln, den Umgang mit Komplexität und Unsicherheit, die Aufwertung gesellschaftlicher Selbstorganisation, die Schaffung von Spielräumen für Innovationen“ integriert und dass die Erfahrungen „zeigen, dass TM das Potential hat, den komplexen Strukturwandel von Gesellschaft und Wirtschaft im Sinne des Konzeptes der nachhaltigen Entwicklung zu prägen.“ (S. 93)
Zum Abschluss des Buches wird eine Art Utopie formuliert, ein Wunschbild der AutorInnen: „Nachhaltige Entwicklung war dann ein erfolgreiches Governance-Reformprogramm, wenn die hier behandelten Prinzipien in sämtlichen politischen Sektoren so selbstverständlich geworden sind, wie die mittlerweile althergebrachten Prinzipien der Rechtstaatlichkeit und Verantwortlichkeit staatlichen Handelns. Dann wären manche der hier behandelten Governance-Praktiken Routine, andere obsolet. Wie die Etablierung des Rechtsstaates zeigt, braucht es dafür einen langen Atem.“ (S. 273) Dies ist zutreffend, denn es handelt sich schließlich um einen erforderlichen ganzheitlichen gesellschaftlichen und kulturellen Wandel. Zugleich aber könnte diese Analogie bedeuten, dass die uns zur Verfügung stehende Zeit nicht mehr reicht. Mit dem Buch wird allerdings konkret belegt, dass es hier und heute schon Handlungsmöglichkeiten gibt. Es ist an den Entscheidungsträgern, sie anzuwenden, und es ist an der Bevölkerung, dies einzufordern und selbst zu praktizieren. E. G.
Steurer, Reinhard; Trattnigg, Rita: Nachhaltigkeit regieren. Eine Bilanz zu Governance-Prinzipien und -Praktiken. München: oekom-Verl., 2010. 276 S., € 39,90 [D], 41,10 [A], sFr 56,90
ISBN 978-3-86581-237-7