Ingolfur Blühdorn, Felix Butzlaff, Michael Deflorian, Daniel Hausknost, Mirijam Mock

Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit

Online Special
Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit

Er bleibe Optimist, aber als Sozialwissenschaftler versuche er, die Dinge nüchtern zu analysieren, so Ingolfur Blühdorn. In dem Buch mit Kollegen und Kolleginnen verfassten Buch Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit begründet er seine Skepsis in Bezug auf den ökologischen Wandel. Die mangelnde Steuerungsfähigkeit unserer komplexen ausdifferenzierten Gesellschaften, bestehende Herrschaftsverhältnisse in unserem Wirtschaftssystem oder zu wenig Aufklärung mögen Gründe dafür sein, dass die ökologische Wende nicht gelingt. Der entscheidende Punkt sei jedoch, so Blühdorn, dass unsere Vorstellungen von Freiheit und einem guten Leben der Nachhaltigkeit diametral entgegenstehen. Und diese Vorstellungen seien unverhandelbar, der gebotene Wandel daher nicht mehrheitsfähig. Deswegen sei das einzig Nachhaltige eben die Nicht-Nachhaltigkeit. Das Buch argumentiert, dass es in unserer Gesellschaft einen breiten Konsens gebe, dass man keine Abstriche bei der eigenen Lebensweise machen wolle. So sei die Verschärfung der Krise unausweichlich.

Das gute Leben für alle sei zwar eine schöne Utopie, aber eben nicht für alle machbar, so umreißt Blühdorn jene Einstellung, die sich derzeit breit mache. Appelle an eine gemeinsame Verantwortung oder an eine Weltgemeinschaft würden im „Me first“-Denken verpuffen. Und der Katastrophendiskurs von Umweltbewegten greife auch nicht. Denn nicht der Planet oder die Menschheit insgesamt sei bedroht, sondern nur Teile davon. Die „Denkfigur der Katastrophe“ oder jene der „Rache der Natur“ verfehle seine Wirkung. Verdrängung sei angesagt nach dem Motto: „Ist ja nicht mein Regenwald. Ich möchte mein billiges Fleisch auch weiterhin genießen.“ Die Waldbrände im letzten Jahr, die Demonstrationen von Fridays for Future oder die Erfolge der Grünen bei den Europawahlen hätten ein Zeitfenster für die Ökowende geöffnet. Die Corona-Pandemie habe dieses wieder geschlossen, so Blühdorn, der Hoffnungen auf einen Paradigmenwechsel im Zuge der Krise nicht erkennen wollte. Angesagt sei eher die rasche Rückkehr zur alten Normalität. Die Krise des Kapitalismus sei nun mit gigantischen Konjunktur- und Rettungspaketen ein weiteres Mal aufgeschoben worden, man habe noch einmal Zeit gekauft.

Notwendig sei ein attraktives Gegenmodell einer besseren Welt, wir täten uns aber schwer, diese Mehrheiten als attraktiv zu vermitteln. Die Ökologiebewegung werde Teil des Problems, wenn sie behauptet, man könne die Krise verhindern, ohne unseren Lebensstil grundlegend in Frage zu stellen. Resümee: Blühdorns nüchterner Blick ist wichtig, um uns nichts vorzumachen. Aber vielleicht wird er doch nicht Recht behalten. Häufigkeitsverdichtungen von Krisen wie von Neuansätzen könnten durchaus dazu führen, dass die Ökowende doch noch gelingt.