Seit der UN-Konferenz 1992 in Rio haben sich nicht nur vielfältige Initiativen zur Lokalen Agenda gebildet, sondern sind auch viele Beteiligungs- und Konfliktlösungsverfahren im Themenfeld Umwelt und Nachhaltigkeit entstanden. Partizipation und Kooperation gelten als unabdingbar für die Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung. Die AutorInnen dieses Bandes gehen der Frage nach, welche Bedeutung verschiedene Beteiligungsformen im Kontext einer nachhaltigen Zukunftsgestaltung einnehmen und ob die Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft eine eigene Partizipations- und Kooperationskultur erfordert. Dabei werden ausgehend von theoretischen Grundlagen, die die prinzipielle gesellschaftliche Partizipations- und Kooperationsfähigkeit sowie deren Grenzen und Hindernisse aufzeigen, methodische Zugänge diskutiert und anschließend Gesellschaftsbereiche wie Politik, Wirtschaft, Wissen- schaft, Bildung und Medien in ausgewählten Praxisfeldern anhand von Fallbeispielen analysiert.
Zunächst müßten die von der Rio-Konferenz ausgehenden Aktivitäten, so Katina Kuhn und Harald Heinrichs, im Rahmen mächtiger geopolitischer und ökonomischer Dynamiken gesehen werden. In diesem Zusammenhang ist die Bedeutung von Partizipation und Kooperation in der Governance Diskussion zentral. Mit Blick auf das begonnene 21. Jahrhundert wird der Zivilgesellschaft ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Neben einigen Erfolgen (genannt werden die Millenniumsgoals der UNO) sind die Herausgeber, was die Erfolgsaussichten betrifft, sehr zurückhaltend, denn sie glauben, „daß die globalen Beziehungen der Gegenwart nach wie vor durchzogen sind von tief liegenden Interessenskonflikten, die kooperative und partizipatorische Lösungsansätze schwierig machen“ (S. 21). Diesem Befund ist angesichts der erwartbaren Ergebnisse beim Klimagipfel in Durban leider nur zuzustimmen. Österreich ist laut einem Zeitungsbericht überhaupt Schlusslicht in Europa, wenn es um die Verringerung der Emissionen geht (SN v. 28.11.201).
Praxisfelder
Im vorliegenden Zusammenhang steht außer Frage, daß durch den Klimawandel ein neues Konfliktpotenzial entsteht und dass durch Kooperation und Partizipation diese Konflikte zumindest abgemildert werden könnten. Im Beitrag „Klimawandel und Tourismus“ (Claudia Bartels) wird anhand des Projektes KUNTIKUM (nachhaltige Tourismusentwicklung in Küsten und Mittelgebirgsregionen) gezeigt, inwiefern Kooperation durch Eigennutz der Akteure oder nicht hinterfragte Handlungsroutinen und soziale Praktiken behindert wird. Im Projekt wurden mithilfe einer inter- und transdisziplinären Vorgehensweise mit den Akteuren vor Ort neue Produkte und Infra-strukturelemente entwickelt. Als konkrete Beispiele werden attraktive Wanderwege als Alternative zum Wintersport im Schwarzwald bzw. verstärkte Küstenschutzmaßnahmen an der Nordsee gemeinsam mit den Touristikern genannt. Generell wird, so Bartels, das Thema Klimawandel im Tourismussektor von den Praxisakteuren bisher jedoch noch wenig beachtet (vgl. S. 196), wohl deshalb, weil der Touristikerblick auf kurzfristige Zeiträume von ein paar Jahren gerichtet sei.
Jenseits von Fragen nach Empowerment und Effektivität gehen die Autoren der Frage nach, inwieweit Bürger an Beteiligungsprozessen teilnehmen und wie ihre Meinung dazu ist. (vgl. S. 13) So werden im Abschnitt „Medien“ (Gesa Lüdecke und Daniel Schulz) deliberative Potenziale Neuer Medien und die damit verbundene Veränderung der Medienlandschaft diskutiert. Das Beispiel Abfallwirtschaft führt uns vor Augen, wie über Jahre hinweg Beteiligungsstrukturen entwickelt und Partizipation institutionalisiert wurden.
Zusammenfassend zeigen die Beiträge, dass Partizipation und Kooperation im Kontext nachhaltiger Entwicklung in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Das Spektrum reicht von Mitarbeiterbeteiligung und Nachhaltigkeitsforschung bis hin zu Möglichkeiten durch die Neuen Medien. Auch im Bildungsbereich lassen sich partizipative und kooperative Elemente identifizieren, die die Entwicklung einer nachhaltigen Gesellschaft fördern können. Bei aller Euphorie geben die Herausgeber aber auch zu bedenken, dass Beteiligung und Einfluß etwa in der Wirtschaft keine Selbstläufer sind, sondern immer wieder neu erstritten werden müssen. Auch „transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung und Bildung für nachhaltige Entwicklung sind erst ansatzweise eingeführt und in der Politik gibt es Wellen hinsichtlich von Partizipations- und Kooperationsmöglichkeiten, die mal stärker, mal weniger stark eröffnet und auch genutzt werden“ (S. 219f.). Insgesamt eröffnet das nicht ganz leicht lesbare Buch ein umfassendes Bild zum Status quo der Partizipations- und Kooperationsforschung auf akademischem Niveau. Wenn es also, wie dies Kuhn/Heinrichs eingangs formulieren, keine Alternative zur Weiterentwicklung von Partizipation und Kooperation im Bereich nachhaltiger Zukunftsentwicklung gibt, wird sich zeigen müssen, ob demokratisch-partizipative Ansätze in demokratischen Staaten erfolgreicher sein können als in autokratischen Staaten wie China oder Singapur. A. A.
Nachhaltige Gesellschaft. Welche Rolle für Partizipation und Kooperation? Hrsg. v. Harald Heinrichs … Wiesbaden: VS Verl. f. Sozialwissenschaften. 222 S., € 39,95 [D], 41,10 [A], sFr 69,90
ISBN 978-3-531-17840-0