"Patient Schule" ist chronisch krank; an Rezepten wie den von "bleierner Unlust" geplagten Schülern beizukommen und den als "Vermittler therapeutischer Gesinnnung" auftretenden Pädagogen unter die Arme zu greifen sei, ist wahrlich kein Mangel. Marianne Gronemeyer - als ehemalige Haupt- und Realschullehrerin mit der Praxis ihres Gegenstandes bestens vertraut und zu dessen fundamental kritischer Reflexion als Professorin an der FH Wiesbaden institutionell legitimiert -, gönnt sich indes keinen lauschigen Platz im Reigen der Therapeuten. Denn nicht die Rettung, sondern die Abschaffung der Schule ist ihr Thema. Daß dafür nicht weltfremde Eigenbrötlerei sondern, im Gegenteil, die scharfe Durchdringung des Gegenstandes den Anlaß gibt und geradezu unwiderruflich auf das Scheitern der Schule als Ort der Bildung hinausläuft, ist eine Einsicht, die sich dem Leser Schritt für Schritt erschließt. Mag man der These, daß die Inanspruchnahme eines "radikalen Vertriebsmonopols in Sachen Bildung" dem Ziel der "Selbstverwandlung von Individuen" zuwiderläuft, da es (nicht nur) der Schule in erster Linie um Konkurrenz und Standardisierung geht, als tendenziell zwar schlüssig, aber doch nicht als durchgehend zutreffend ansehen, so ist doch nicht zu widerlegen, daß sich "das Wahre, Gute und Schöne (... ) seiner Verzweckung hartnäckig widersetzt" und "zum bloßen Mittel erniedrigt - lautlos verflüchtigt" . Damit aber nicht genug: Grönemeyer zeigt zudem überzeugend, daß die Schule in ihrer bigotten Anbiederung an den Computer, in der Zuflucht zur "Online-Pädagogik" zwar leichtverdauliche seichte Häppchen verabreicht, aber die Förderung "eigenwilliger, eigenartiger und eigensinniger Persönlichkeiten" ebenso verfehlt, wie durch die mißliche Liaison mit dem übermächtigen Fernsehen, einem ebenso "invasiven wie asozialen" Bildungskonkurrenten. Daß konsequent betrachtet, selbst die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen zur Abschaffung der Schule - oder doch allemal der Pädagogen und deren Ersetzung durch Manager und Ingenieure - führt, ist nach Gronemeyer so gut wie ausgemacht und der Vorherrschaft der "siegreichen Drei", Ökonomie, Naturwissenschaft und Technik zu danken. So wird die Schule "zur Hure des Fortschritts" und hat zudem auch in der Rolle schlechte Karten: denn "kommt sie den Modernisierungsanforderungen nicht nach, wird sie abgehängt, und kommt sie ihnen nach, so macht sie sich überflüssig". "Themen zu eröffnen und offenzuhalten gerade gegen den Zeitgeist, ein Ort der Retardierung der Skepsis und des Zweifels" zu sein, das stünde ihr nicht nur gut an, sondern ist, genau betrachtet, ihre einzige Überlebenschance.
Gronemeyer, Marianne: Lernen mit beschränkter Haftung. Über das Scheitern der Schule. Berlin: Rowohlt, 1996.204 S.