EduAction

Ausgabe: 2012 | 3

Wer diese 250 Seiten umfassende Anleitung zum Handeln zur Hand nimmt, ahnt schon, dass es so leicht, wie die Pusteblume auf dem Titelbild verheißt, nicht sein wird, die Bildungspraxis an Schulen zu verändern. Eingerahmt wird dieses ermutigende Buch durch zwei Geleitworte: Das eine von Marianne Obermüller (Social Businesswomen, Eathrise Society, München), die einen geistigen Klimawandel fordert, um aus Schulen Orte einer ganzheitlichen Potenzialentfaltung zu machen, das andere von Gerald Hüther (Neurobiologische Präventionsforschung an der Universitätsmedizin Göttingen), der vermittelt, dass Selbstvertrauen und Zuversicht von innen wachsen. Er fordert dazu auf, den „Spaten“ in die Hand zu nehmen, um ein überholtes Schulsystem „trocken zu legen“. Die zentralen Kapitel des Buches schöpfen aus beeindruckenden Praxiserfahrungen der Berliner Schulleiterin Margret Rasfeld und des Kämpfers für soziale Innovationen sowie Mitinitiators der Global Marshall Initiative Peter Spiegel.

 

 

 

Persönlicher „EduAction-Plan“

 

Mir standen nach wenigen Kapiteln fast die Tränen in den Augen. Wie viel Entwicklung wäre möglich, wenn nur nicht so viele vehement an Schulen alten Stils festhielten: Die Eltern, die pädagogischen Fachkräfte, die Schulleitungen – sie alle werden zu Ende jedes Kapitels eingeladen, ein paar Sätze zu formulieren, wie ihr persönlicher „EduAction-Plan“ aussieht. Detailliert wird etwa über die Erfahrungen der Evangelischen Gemeinschaftsschule Berlin Zentrum berichtet, die ihr Programm der drei Säulen mit Hand und Herz umsetzt.

 

Säule 1: Lernen zu handeln im „Projekt Verantwortung“ und im „Projekt Herausforderung“. Dabei lernen junge Menschen, wie es sich anfühlt, jenseits des Schultors Anerkennung zu erfahren und über die eigenen Grenzen hinaus zu wachsen. „Durch diese Öffnung der Schule zum Gemeinwesen wird deutlich, was Schule alles leisten kann.“ (S. 86)

 

Säule 2: Lernen, Wissen zu erwerben. Da entscheiden sich Tag für Tag die Schülerinnen und Schüler neu, welches „Lernbüro“ sie aufsuchen und sie führen Logbücher, mit denen sie selbst eigene individuelle Entwicklungsprozesse auf „Lernpfaden“ dokumentieren und reflektieren. „Eltern beobachten an ihren Kindern, dass sie genau davon profitieren, nicht nur nach exakten Vorschriften und Regelungen arbeiten zu müssen, sondern nach ihrem Rhythmus und ihrer Verfassung lernen und entsprechend kreativ sein können.“ (S. 98)

 

Säule 3: Lernen, zusammen zu leben. Da werden Inklusion und Heterogenität als Chance angesehen, wobei selbstverständlich an den Stärken der jungen Menschen angesetzt wird, die es wie Schätze zu entdecken gilt. Das Arbeitsklima ist geprägt von guten Beziehungen und Vertrauen, die Verständigung wird in Tutorengesprächen eingeübt und die Schüler wissen selbst, wen sie wann ansprechen wollen. „Selbstermächtigung der Kinder ist der Ausdruck des Paradigmenwechsels der Erwachsenen vom ‘allwissenden Belehrer’ hin zum Coach und Lernbegleiter.“ (S. 124)

 

Als weitere methodische Bausteine der Schule vermittelt das Buch u. a. „Design Thinking“ und „Peer“ Learning. Spannend zu erfahren ist die außergewöhnliche Herangehensweise, die aus Jugendlichen Weltentdecker und Weltbürger werden lässt: Der gesamte 11. Jahrgang reiste für Monate nach Bangladesh, um dort ein Bildungsprojekt mit Kindern aus Slums umzusetzen und um die Deutsch-Lehrerausbildung zu unterstützen, also als Schüler Erwachsene fortzubilden. „In der Welt des 21. Jahrhunderts, im globalen Zeitalter, in der entgrenzten Welt, in der Welt der Wanderungsbewegungen, ist es kein erfolgreiches Lebens- und Überlebensmodell, sich nur dem Vertrauten anschließen zu wollen. Nie war es daher wichtiger als heute zu lernen, sich auch beziehungsweise gerade für nicht Vertrautes zu öffnen.“ (S. 159)

 

Die nachfolgenden Kapitel ermutigen dazu, sich von Pionieren eines neuen Bildungssystems an vielen Orten und Ländern anregen zu lassen. Zwei Orte werden herausgehoben: 1. Die Pädagogische Hochschule in Salzburg als Vorreiter einer neuen Lehrerausbildung und 2. das Education Innovation Lab an der Humboldt-Viadrina School of Governance in Berlin als Instrument der Bündelung bildungspolitischer Modelle und Ansätze. Am Ende werden noch einmal Rahmenbedingungen, Strukturmodell, Kollegium und Elternmitarbeit an der Evangelischen Gemeinschaftsschule Berlin Zentrum beschrieben. Derart wird deutlich gemacht, wie an jedem Ort begonnen werden könnte, eine Schule der Zukunft aufzubauen. Allenfalls fehlen noch ein paar Hinweise, was getan werden kann, wenn doch „Sand ins Getriebe“ bester Absichten gerät. Doch gehört die Möglichkeit des Scheiterns eben zum Lernprozess, und wenn es nicht versucht wird, Neues zu wagen, kann das Hamsterrad eines ungeliebten Schulsystems nicht verlassen werden. S.G.G.

 

 

 

Rasfeld, Margret; Spiegel, Peter: EduAction. Wir machen Schule. Ein Report der Earthrise Society. Hamburg: Murrmann, 2012. 263 S., € 21,90 [D], 22,50 [A] sFr 31,40 ; ISBN 978-3-86774-181-1