Nathaniel Rich

Losing Earth

Ausgabe: 2019 | 4
Losing Earth

Nathaniel Rich ist US-amerikanischer Journalist und hat mit Blick auf die Vereinigten Staaten eine „Abrechnung“ (S. 11) zum „Menschheitsversagen“ Klimawandel geschrieben. Konkret beschäftigt sich Rich mit der Periode 1979-1990, als die CO2-induzierte Erderwärmung erstmals der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde und sogar ein internationales Abkommen in greifbarer Nähe war – bevor sich die Industrie und ihr nahestehende PolitikerInnen mit Desinformationskampagnen sowohl politisch als auch in der öffentlichen Meinung durchsetzen konnten und so die Welt in die Klimakatastrophe führten.

Rich setzt dabei auf einen journalistischen Reportagen-Stil, der mitunter romanhafte Züge hat und eine starke moralische Position bezieht. Damit zieht er einen mitten ins Geschehen, was objektive Distanz erschwert. Gleichzeitig muss man dem Autor hervorragende Recherche zugestehen, die auf persönliche Interviews mit politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Vertretern dieser entscheidenden Jahre baut.

Auswirkungen des Klimawandels werden benannt

Bereits 1979 wurden in einem wissenschaftlichen Bericht erstmals die Auswirkungen des Klimawandels benannt – und, im Gegensatz zu heute, auch seitens der Industrie und der Politik als Herausforderungen anerkannt, die es zu lösen gelte. Es folgte ein erstes großes Treffen führender WissenschaftlerInnen, um den Klimawandel zu diskutieren – daraus entstand der historische Bericht von Jule Charney, „Carbon Dioxide and Climate: A Scientific Assessment“. Der Bericht erhielt „fast sofort auf den höheren Ebenen der Regierung, der Wissenschaft und der Öl- und Gasindustrie, also innerhalb des Kreises von Menschen, die angefangen hatten, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie der Planet auch in Zukunft noch bewohnbar bleiben könnte, den Status einer unbezweifelbaren Tatsache“ (S. 50).

In Folge stellte sich die Industrie Anfang der 80er-Jahre darauf ein, es bald mit härterer Regulierung zu tun zu haben. So zeigten sich VertreterInnen der Erdölindustrie bei den ersten US-weiten Klimakonferenzen durchaus offen für bindende internationale Übereinkommen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes – vor allem getrieben durch die Angst, in juristische Auseinandersetzungen gezogen zu werden (was seit Kurzem tatsächlich Realität ist).

Auch die Politik kam nicht mehr um das Thema umhin. Eine Reihe von Kongressabgeordneten, sowohl Demokraten als auch Republikaner, begannen das Thema in Anhörungen und Untersuchungsausschüssen zu thematisieren. Als besonders engagiert erwies sich der junge demokratische Abgeordnete Al Gore, der spätere US-Präsidentschaftskandidat und Produzent des Films „Eine unangenehme Wahrheit“. Bereits 1981 argumentierte Gore für weitreichende politische Maßnahmen gegen den CO2-Ausstoß (vgl. S. 89).

Dringender Handlungsbedarf wird verneint

Im Verlauf der 80er-Jahre wurden jedoch erste Stimmen laut, die den Klimawandel zwar nicht leugneten, aber auf Zeit spielten: Der Bericht „Changing Climate“, der unter anderem vom späteren Nobelpreisträger William Nierenberg verfasst wurde, verneinte einen dringenden Handlungsbedarf – und obwohl der Bericht unmissverständlich auf einen raschen Übergang zu erneuerbaren Energien drängte, wurde das kolportierte „keine Panik“ (S. 105) von politischen Akteuren und den Medien nur zu gern aufgegriffen. Der Ausweg wurde im technologischen Fortschritt gesehen: Kommende Generationen würden die Instrumente haben, um den Klimawandel und seine Auswirkungen einhegen zu können.

Mit dem Nachweis des Ozonlochs Mitte der 80er-Jahre, welches Staaten weltweit bewog, sich in Montreal zu einer Reduktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) zu verpflichten, wurde auch das Thema Klima wieder prominenter. Obwohl mit Ronald Reagan ein Präsident im Weißen Haus war, der von Klimaschutz nichts wissen wollte, fanden im US-Kongress 1987 sogar drei Ausschüsse in beiden Kammern zum Thema Klimawandel statt. Es gab sogar einen Gesetzesentwurf, eingebracht vom Demokraten Joe Biden, späterer Vizepräsident, der eine nationale Strategie gegen den Klimawandel vorsah. Gleichzeitig wurden WissenschaftlerInnen, die vor dem Kongress aussagen sollten, mit politischem Druck vom Weißen Haus konfrontiert, Aussagen abzumildern oder zu ändern – eine Erfahrung, die etwa James Hansen, ein wichtiger Wortführer der Wissenschaftscommunity, machte: „drei Tage vor seinem Auftritt am Montag, wurde ihm mitgeteilt, dass das Weiße Haus Änderungen in seiner Aussage verlange. Eine Begründung fehlte.“ (S. 136)

Zensurversuche und Hoffnungsschimmer

Diese Zensurversuche machten klar, dass die Reagan-Administration nicht an einer politischen Lösung des Klimaproblems interessiert war – und damit erkannte die Energieindustrie, dass sie genügend politische Rückendeckung hatte, um Regulierungen zu verhindern: „Zumindest einen Augenblick lang sah es danach aus, als würde die Energieindustrie, nachdem sie begriffen hatte, dass es dabei auch um ihre eigene Zukunft ging, sogar eine Vorreiterrolle einnehmen. (...) Und jetzt, nach dem politischen Triumph des Montrealer Protokolls und der überparteilichen Unterstützung für eine Klimapolitik wurde klar, dass es auf der höchsten Ebene der Bundesregierung – sogar im Weißen Haus – Leute gab, die darauf aus waren, eine regelrechte Bilanz des eigentlichen Problems um jeden Preis zu verhindern.“ (S. 138)

Noch einmal sollte es Hoffnung geben: Nach einer Dürrekatastrophe in den USA 1988 wurde das Thema Klimawandel von den Medien wieder stärker aufgegriffen. Gleichzeitig gab es international Bewegung: Skandinavische Länder, die Niederlande und Großbritannien verlangten akkordierte Sofortmaßnahmen, um den Klimawandel aufzuhalten. Doch die mittlerweile auf Abwehrkampf eingestellte Energieindustrie fuhr schwere Geschütze auf, um eine Regulierung von CO2 abzuwenden: Man gründete und finanzierte zahlreiche Organisationen, die offiziell als zivilgesellschaftliche Einrichtungen auftraten, letztendlich aber gezielt Desinformation zum Klimawandel steuerten. Der Todesstoß kam schließlich von John Sununu, Stabschef von George H. Bush, der im Versuch einer klimaschutz-bedingten Regulierung der Wirtschaft eine linke Verschwörung sah. Mittlerweile – im November 1989 – hatten internationale Verhandlungen in den Niederlanden zu einem Klimaabkommen begonnen, doch unter dem Druck der USA wurde nur ein vage formuliertes Papier verfasst, welches auf die Festlegung von CO2-Reduktionen verzichtete: „In der Abschlusserklärung war nur die Rede davon, dass ‚viele‘ Staaten eine Stabilisierung der Emissionen befürworteten. Wer das war, stand da ebenso wenig, wie eine Vorgabe genannt wurde oder eine Frist. Und damit löste sich ein quälender, schmerzhafter und begeisternder Prozess, der sich über ein ganzes Jahrzehnt erstreckt hatte, in Luft auf.“ (S. 190)

Im Epilog des Buches betont Rich, dass die Klimakrise nichts anderes als eine moralische Krise sei. Industrielle Desinformationskampagnen und politische Klimaleugnung müssten als zutiefst unmoralisch gebrandmarkt werden. Der Autor zieht hier Vergleiche mit Sklaverei, Rassentrennung, der Ächtung von Kernwaffen oder zur gleichgeschlechtlichen Ehe: Die Gesellschaft und in Folge die Politik wurden mobilisiert, als diese Themen zu Fragen der Moral erhoben wurden. Dabei setzt er auf die Jugend: „An irgendeinem Punkt, der vielleicht gar nicht mehr so fern ist, werden die Ängste der Jungen die Oberhand gewinnen über die der Älteren. Und irgendwann werden die Jungen genug Macht aufbauen, um endlich zu handeln.“ (S. 231)