Lokale Kritik - globale Standards

Ausgabe: 1996 | 3

Nicht nur die Außen- und Wirtschaftspolitik der USA, sondern auch jene anderer einflußreicher Staaten bedient sich des Protests und der Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzungen, auch um dabei ihre partikularen, politischen Interessen durchzusetzen. Die Folgen - auch auf die Krise der UNO - schlagen sich in den täglichen Horrormeldungen nieder. In vielen Konferenzen und Sitzungen mühsam erarbeitete Beschlüsse erweisen sich in den lokal-regionalen Konfliktsituationen als unzureichender Schutz. Zwischen einem globalen Minimalkonsens und den Konkretisierungen und Erweiterungen (wie z. B. Verteilungsgerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit) entsteht ein wachsender Raum für Mißinterpretationen und manifeste Konflikte bis hin zu Kriegen. Michael Walzer, Professor für Sozialwissenschaft in Princeton und Vordenker der liberalen Linken in den USA. setzt sich nicht nur mit "dichter und dünner" Moral in seinem Land auseinander - mit ihren globalen wie auch tief wurzelnden individuellen Dimensionen. Dünn werde die Moral dort, wo sie sich holzschnittartig auf ein Bündel von elementaren moralischen Grundstandards beschränkt, wie das grundsätzliche Recht auf Leben, auf gerechte Behandlung, auf leibliche und psychische Unversehrtheit sowie auf die Richtigkeit regierungsamtlicher Aussagen. Diese außer Diskussion stehenden Grundsätze sind oft die Basis für weltweite Solidaritätskampagnen zur Verteidigung der Menschenwürde und elementarer Bürgerrechte. Wesentlich schwieriger wird es, wenn in der "dichten", komplexen Moral z. B. nicht nur das Quälen von Kindern, sondern auch die tolerierte Prügelstrafe eliminiert werden soll. Konsequenterweise entsteht daraus auch "dünne" und "dichte" Solidarität, die sich gemeinsam gegen Mißbräuche, etwa aus westlichem Selbstverwirklichungsdenken "tüchtiger" Individualisten wendet. Dagegen würden gleichmacherische Forderungen einer einheitlichen moralischen Praxis der Achtung andersartiger Kulturen entgegenstehen. Und Walzer ist überzeugt. daß global gleichgemachte demokratische Strukturen bis hin zu einer Weltregierung zur Durchsetzung gewisser moralischer Grundsätze nicht erforderlich seien. Stattdessen setzt er auf den Universalismus solidarisch agierender Gruppen, die Raum für neue, kreative Lösungen schaffen. M. Rei.

Walzer; Michael: Lokale Kritik - globale Standards. Zwei Formen moralischer Auseinandersetzung. Hamburg: Rotbuch-Verl., 1996. 236 S. (Rotbuch Rotationen)