Der Anlaß kritischen Theoretisierens insbesondere der Frankfurter Schule ist der Nationalsozialismus in Deutschland. Max Horkheimer (1895-1973) und Theodor W. Adorno (1903-1969) betrachten ihn nicht als bloßen “Betriebsunfall” sondern als notwendige Konsequenz eines Denk- und Handlungsprozesses, in dem Aufklärungsdenken sich verdunkelt und blind wird. Einseitig auf ein instrumentell-nutzenmaximierendes Vernunftdenken bar jeglicher objektiver Wertbezüge - wie Toleranz und Humanismus - regrediert, muß dieses Denken in die verheerende Katastrophe des Nationalsozialismus führen. Das vorliegende Buch stellt die überarbeitete Fassung der im Juni 1997 in Frankfurt am Main gehaltenen Max Horkheimer Vorlesungen dar. Vor dem Hintergrund kultureller Vielfalts- und demokratischer Gleichheitsvorstellungen sowie von Forderungen nach politischer Partizipation im Zeitalter zunehmender Globalisierung versucht Seyla Benhabib - sie ist Professorin für Politische Theorie an der Harvard University - zentrale Diagnosen der kritischen Theorie anzuwenden. Sie stützt sich hierbei vor allem auf Horkheimers Essay Egoismus und Freiheitsbewegung. Zur Anthropologie des bürgerlichen Zeitalters (1936). Benhabibs Motivation lautet: Wie können intoleranter Fanatismus und Tyrannei, Nationalsozialismus und Rechtsextremismus verhindert und der Weg zum gleichberechtigten Miteinander von Kulturen und andersartigen Menschen dauerhaft geöffnet werden.
Ihre Nachforschungen führen den Leser durch drei Kapitel: “Strange multiplicity - Die Politik der Identität und Differenz im globalen Zusammenhang”, “Politik der Verteilung versus Politik der Anerkennung” sowie “Zu Begriff und Institution der Staatsbürgerschaft”. Benhabib macht deutlich, daß inter- und supranationale Institutionalisierungen wie die 1948 ratifizierte “Allgemeine Erklärung der Menschenrechte” unter der Regie der UN nicht verhindern können, daß Spannungen zwischen nationalen Souveränitätsansprüchen und universellen Menschenrechten immer wieder auftreten werden: “Wir sind aber vor allem mit der Aufgabe konfrontiert, auf die folgenden Fragen einleuchtende Antworten zu geben: Lassen sich identitätsstiftende und in sich stimmige Kollektiverzählungen so abfassen, daß sie Ausländerfeindlichkeit, politische Paranoia, Aggression und Intoleranz gegenüber den `anderen´ nicht legitimieren? Können wir Gerechtigkeit und Solidarität in unseren Demokratien verwirklichen, ohne dem Egoismus von Wohlfahrtsstaaten zu verfallen und die Grenzen vor Flüchtlingen und Asylanten zu schließen? Wie müßten die demokratischen Identitäten eines globalen Zeitalters gestaltet sein?”
Durch ihren kritischen Blickwinkel gelingt es Benhabib nicht nur eine neue Perspektive und eine Neubewertung auf die aktuelle Multikulturalismus- und Pluralismusdebatte zu schaffen. Benhabib gibt wichtige Impulse für eine Aktualisierung der kritischen Theorie für die Gegenwart.
M. O.
Benhabib, Seyla: Kulturelle Vielfalt und demokratische Gleichheit: Politische Partizipation im Zeitalter der Globalisierung, Horkheimer Vorlesungen, Frankfurt/M.: Fischer, 1999. 121 S., DM / sFr 18,90,- / öS 138,-