Unsere Sehnsucht nach Übersichtlichkeit und Kontinuität projizieren wir oft auf die Natur der nahen Umgebung: Der Flecken Erde, der noch genauso aussieht wie vor Jahrhunderten. Fred Pearce erlaubt uns keine romantische Schwärmerei. In seinem Buch „Die neuen Wilden“ versucht er zu zeigen, dass auch die Natur sich immer verändern wird. Mehr noch: Diese Veränderungen bringen oft Gutes. Pearce geht es dabei aber nicht um die Menschen, die betonieren oder zumindest roden. Es geht ihm um „biologische Abenteurer“, importierte Tierarten, neue Pflanzen, die vermeintlich das ökologische Gleichgewicht ins Wanken bringen. Aber dieses Bild gibt die Wirklichkeit nicht richtig wieder, sagt Pearce.
Pearce hat für das Buch die Spuren von fremden Arten auf sechs Kontinenten verfolgt. Im ersten Teil des Buches berichtet Pearce über Gegenden, auf denen sich dramatische Entwicklungen vollzogen hatten, nachdem Menschen neue Arten in die Ökosysteme einführten. Ein Beispiel: Der botanische Garten in Bogor auf Java hatte unerwünschte Wasserhyazinthen einfach in den nächsten Fluss entsorgt. Dort breitete sich das Unkraut immer weiter aus, Flüsse und Seen wurden von der Pflanze bedeckt, für die örtliche Fischereiwirtschaft bedeutet der Neuling ein massives Problem. Roden klappte nicht, das Vordringen der Pflanze schien unaufhaltbar. Doch plötzlich begannen sich die Hyazinthenteppiche zurückzubilden. Der Grund: Die Abwässer zweier großer Städte wurden nun besser gereinigt in die Gewässer abgelassen. „Immer wieder stellte ich fest, dass sich angeblich bösartige Invasoren lediglich Ökosysteme zunutze machten, die bereits vom Menschen massiv gestört waren. Sie waren Opportunisten und zugleich Erneuerer der Natur, und sie übernahmen oft Aufgaben, die die heimischen Arten nicht bewältigen konnten.“ (S. 25)
Pearce kommt zu dem Ergebnis, dass die Dämonisierung einwandernder Pflanzenarten mehr über uns und unsere Angst vor Veränderungen aussagt als über sie und ihr Verhalten. Man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, dass die Natur stabil sei oder einer Vervollkommnung zustrebe.
Pearce redet einer neuen Verwilderung der Welt das Wort. Er meint allerdings, dass dies nicht bedeuten könne, dass man das Rad der Zeit zurückdrehen kann. „Diese neue Wildnis wird eine völlig andere sein als die alte.“ (S. 20) Sie blühe und gedeihe, und das umso mehr, wenn wir ihr ihren Willen lassen. Pearce meint, sie sei in hybridisierenden Rhodondren zu finden, in seltenen Bienen und Spinnen, die inmitten von Industriebrachen der Städte auftauchen, auf dem Green Mountain auf Ascension Island, in der Sperrzone von Tschernobyl, im Buschland des tropischen Afrika und in den nachwachsenden Regenwäldern Borneos sowie an vielen anderen Orten. „Die Natur kehrt nie um, sie schreitet immer weiter voran. Fremde Spezies, die Vagabunden, sind in dieser ständigen Erneuerung die Pioniere und Siedler. Ihre Invasionen sind für uns vielleicht nicht immer angenehm, aber die Natur wird sich auf ihre eigene Weise zurückverwildern.“ (S. 295) Stefan Wally
Pearce, Fred: Die neuen Wilden. Wie es mit fremden Tieren und Pflanzen gelingt, die Natur zu retten. München: Oekom, 2015. 330 S., € 22,95 [D], 23,60 [A] ; ISBN 978-3-86581-768-6