Günter Grass über die DDR

Ausgabe: 1991 | 1

Angesichts des "Schweinsgalopps" mit welchem die deutsche Einheit vollzogen wurde, blieb hüben wie drüben nicht annähernd genug Zeit zum Nachdenken. Da die ersten Flurschäden unbedachter Eile auszumachen sind, scheint der "vaterlandslose Geselle" auf den ersten Blick der tragischen Gestalt eines Bahnhofsvorstehers zu gleichen, der abgefahrenen Zügen nachsinnt. Bei genauerem Hinsehen ist es indes nicht die von der Wirklichkeit wohl vielfach übertroffene Schwarzmalerei von Grass, die seine Mahnungen über den Dunstkreis tagespolitischer Diskurse hinaushebt. Die Aussicht auf eine "ins Gemeingefährliche gesteigerte Arbeitslosigkeit" und begründete Skepsis gegenüber einer glücksverheißenden D-Mark, die "das Wunder in Neuauflage" verspricht, widerlegt den Verdacht besserwisserischer Nörgelei - nicht zuletzt auch wegen des Mordens am Golf, das erst durch lukrative, todbringende Geschäfte möglich wurde. Die fünf, zuvor an verschiedenen Stellen publizierten Reden dokumentieren des Autors unermüdlichen Einsatz für eine deutsche Föderation, eine Einigung in Vielfalt anstelle verordneter Einheit. Dieses Engagement ist es wert, allzu schnellem Vergessen entrissen zu werden, vielleicht auch, weil es Optionen für die Zukunft noch offenhält. Deutschland

Grass, Günter: Ein Schnäppchen namens DDR. Letzte Reden vorm Glockengeläut. Frankfurt/M.: Luchterhand Literatur-Verl., 1990. 60 S., DM 8,80/ sFr 7,50/ öS 68,60