Griechenland – eine €UROpäische Tragödie

Ausgabe: 2012 | 2

„Die Euro-Zone steuert meiner Ansicht nach auf eine Tragödie historischen Ausmaßes zu“, warnte unlängst der Investmentguru George Soros, der 1992 erfolgreich gegen das britische Pfund spekulierte und das europäische Währungssystem fast zum Einsturz brachte. Aktuelle Sparpakete und Regenschirme in Verbindung mit dem gefeierten Fiskalpakt treiben Europa immer mehr in eine deflationäre Schuldenfalle. Die ungedeckten Ausgaben steigen weiter und die Wirkung der Finanzspritzen verpuffen, gleichzeitig eskalieren die sozialen Probleme in den Pleitestaaten. Zahlreiche Ökonomen gehen wie Soros vom Schlimmsten aus und sprechen gar vom Ende des Euro bzw. halten eine Währungsreform für unausweichlich. Und in der Tat wurden bisher die systemischen Ursachen der Krise kaum wirksam bekämpft. Alfred Auer hat sich einige der Argumente angesehen, nicht ohne einen Blick über den Tellerrand der Mainstream-Ökonomie zu werfen.

 

Griechenland am Ende

 

Nach den Wahlen in Griechenland Anfang Mai meldet sich die Eurokrise mit brennender Aktualität zurück. Die Schlagzeilen waren den Griechen auch vorher schon sicher. Die Wiege der europäischen Kultur geriet zum Härtetest für die Stabilität des Euro, denn das Land ist bankrott und bedarf unserer Hilfe. Um einen Dominoeffekt zu verhindern, erfanden die Europäischen Politiker und Banker für Griechenland das Modell einer samtenen Staatspleite. Die wahren Gründe, warum das Land in eine derart prekäre Lage kam, bleiben meist verborgen. Wassilis Aswestopoulos – als Sohn griechischer Eltern in Deutschland aufgewachsen, lebt er heute in Athen – will deshalb die Ursachen und Hintergründe der Fehlentwicklungen der letzten Jahr(zehnt)e aufzeigen. Er lässt Beteiligte und Betroffene zu Wort kommen und zeichnet ein aktuelles Bild der Lage. „Nach allgemeiner Überzeugung der Bürger, aber auch der amtierenden Politiker des Landes hat das gesamte politische System versagt und das Land an den Rand des Zusammenbruchs geführt.“ (S. 9)

 

Wie konnte es so weit kommen?

 

Um die Situation Griechenlands verstehen zu können, bedarf es eines Rückblicks auf die Geschichte, der bis in die Nachkriegsentwicklung in den 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts reicht. Eine der Absurditäten Griechenlands ist laut Aswestopoulos die Tatsache, dass das Land seit mehr als einhundert Jahren von miteinander verflochtenen Familienclans regiert wird. Zumindest diese Phase scheint jedoch nach den letzten Wahlergebnissen im Mai endgültig vorbei.

 

Detailverliebt und doch überaus spannend zeigt uns der Griechenlandkenner im Folgenden viele Beispiele einer paradoxen Politikpraxis aus Vergangenheit und Gegenwart. Bereits 1990 habe Jean-Claude Juncker Griechenland ein bankrottes Land genannt. Diese drastische Einschätzung blieb damals ohne innenpolitische Konsequenzen, so der Autor. Laut Aswestopoulos begann die Schuldenexplosion bereits zu Beginn der 80er-Jahre mit dem Beitritt des Landes zur Europäischen Gemeinschaft, nicht zuletzt deshalb, weil die Sozialpolitik über Schulden finanziert wurde.

 

Bereits 1982 stieg die Inflation auf stolze 20 Prozent. Der damalige Ministerpräsident Papandreou hatte die glorreiche Idee, Tausende seiner Wähler im öffentlichen Dienst einzustellen. [Eine solche Strategie vertrat übrigens auch der Spitzenkandidat der Radikalen Linken (SYRIZA) Alexis Tsipras im Wahlkampf für den nationalen Urnengang im Mai-Wahl 2012. Er will u. a. 100.000 neue Staatsbedienstete einstellen und verspricht eine allgemeine Lohnerhöhung von 30 Prozent.] Es wird gar behauptet „75 Prozent der Staatsausgaben sind Löhne und Pensionen“ (S. 19). Hinzu kommt, dass sich Griechenland (im Vergleich zur EU) bis zuletzt überdurchschnittlich hohe Militärausgaben leistet.

 

Aber das Land hat auch bessere Zeiten erlebt, etwa die Periode des Wirtschaftswunders von 1950 bis 1974. Gründe dafür sieht der Autor in den (im internationalen Vergleich) relativ niedrigen Löhnen und im immensen Aufbaupotenzial. Die Rede ist auch von einer kurzen Blüte der Autoindustrie. „Bis 1991 stammten 75 Prozent der in Griechenland verkauften Autoreifen aus einheimischer Produktion.“ (S. 37)

 

Nach der Diktatur der Obristen (1967 bis 1974) wurde Griechenland EG-Beitrittskandidat und zum 1. Januar 1981 EG-Mitglied. Es begann eine Phase, die der Autor „Erschleichung des Euro“ nennt (1990 bis 2004). Mit der sogenannten „kreativen Buchführung“ konnte man die Maastricht-Kriterien erfüllen. Gleichzeitig waren die 1990er-Jahre geprägt von sinkender Wettbewerbsfähigkeit, was nicht zuletzt in Zusammenhang mit der zunehmenden Subventionsabhängigkeit von der Europäischen Gemeinschaft stand. Die Einführung des Euro 2001 hatte weitreichende Folgen und Griechenland erlebte einen veritablen Schock: die Preise für Lebensmittel verdreifachten sich. Die Inflationsrate lag 2010 bei 5,2 Prozent (in Deutschland dagegen bei 0,8 Prozent). Die Abwärtsspirale in die Krise begann und erlebte Mitte 2010 mit der Herabstufung der Kreditwürdigkeit durch die Ratingagentur Moody’s einen vorläufigen Höhepunkt, aber nicht das Ende, ist sich Aswestopoulos sicher ist, der sein Buch im Sommer 2011 abschloss, das Griechenlandrama findet aber seine Fortsetzung und beschäftigt auch heute, Mitte 2012, weiter die Schlagzeilen und Menschen beschäftigt. Und so werden die Griechen selbst im Juni erneut darüber entscheiden, wie es weitergeht. A. A.

 

Aswestopoulos, Wassilis: Griechenland – eine €UROpäische Tragödie. Die Hintergründe der Euro-Krise. München: Ambition-Verl., 2011. 238 S., € 24,99 [D], 25,75 [A], sFr 35,- 

 

ISBN 978-3-94282-1100