Globalisierung und Gerechtigkeit

Ausgabe: 2002 | 4

Anhand vieler sehr anschaulich aufbereiteter Fakten – den knappen Textkapiteln sind jeweils ganzseitige Grafiken gegenübergestellt – macht der Autor deutlich, dass die gegenwärtige Entwicklung der Weltwirtschaft dem im Buchtitel zitierten Anspruch, Globalisierung und Gerech-tigkeit zu verbinden, leider keineswegs erfüllt. Ein Beispiel: Während der Anteil der multinationalen Konzerne an der weltweiten Wertschöpfung zwischen 20 – 35 Prozent beträgt, fällt die Bilanz hinsichtlich Arbeitsplätze bedeutend schlechter aus. Weltweit bieten die Multis 86 Millionen Arbeitsplätze an, 19 Millionen davon befinden sich in Entwicklungsländern. Das garantiert nur ein bis zwei Pro-zent aller Arbeitskräfte des Südens eine Beschäftigung. Das Fazit des Unternehmensberaters, der auch für Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit sowie für die Weltbank tätig ist: „Die Grenzen der Wachstumspolitik treten bei den Arbeitsplätzen offen zutage. Die Auslands-investitionen haben in allen bisherigen Entwicklungsdeka-den nur einige Millionen Arbeitsplätze zu schaffen vermocht und gleichzeitig eine Dunkelziffer von traditionellen Arbeitsplätzen vernichtet. Die moderne Wirtschaft hat sich in vielen Fällen nicht als jene Lokomotive entpuppt, welche die Ökonomen verheißen hatten.“ (S. 63)

Die gesellschaftliche Bedeutung der weltweit tätigen Großkonzerne wird nach Gerster maßlos überschätzt. Ein Drittel des Welthandels seien rein konzerninterne Transak-tionen; vier Fünftel der internationalen Investitionen waren 1999 Übernahmen bereits bestehender Firmen. Für den breiten Volkswohlstand sei jedoch entscheidend, wie viele Arbeitsplätze geschaffen werden. Das Rückgrat der Volkswirtschaften sind für den Autor „die kleinen und mittleren Unternehmen, in Entwicklungsländern oft auch die Landwirtschaft und der informelle Sektor“.

Die Globalisierung im Sinne einer drastischen Verkürzung von Raum und Zeit dank der technischen Revolution im Transport- und Kommunikationswesen ist für Gerster „eine Tatsache und unumkehrbar“. Globalisierung im Sinne der Liberalisierung und Deregulierung hingegen sei „ein politischer Prozess und dementsprechend verhandel- und gestaltbar.“ (S. 178). Ungeschminkt nennt der Experte die egoistische Interessen der ohnedies bereits reichen Länder: „Weil der Norden für seine Überproduktion an Gütern neue Märkte und für seine großen Kapitalien gewinnträchtige Investitionsmöglichkeiten benötigt, werden diese Märkte weiter dereguliert.“ (S. 179). Die Migration von Menschen hingegen, welche für den Süden vorteilhaft wäre, bleibe vom Deregulierungsprozess ausgeschlossen. Das verstärke „den Trend zur globalen Apartheid, einer getrennten ´Entwicklung´ von Reich und Arm.“ (ebd.)

Aus historischer Sicht sei es, so Gerster weiter, belanglos, ob die Globalisierung den Wohlstand der Satten weiter mehrt. „Im Urteil der Geschichte wird die Globalisierung daran gemessen werden, was sie zur Verringerung der extremen Armut von 1,2 Milliarden Menschen mit weniger als einem Dollar Einkommen pro Tag oder von 2,8 Milliarden Menschen mit weniger als zwei Dollar pro Tag beitragen konnte.“ (S. 181)

Wo sieht der Experte Auswege? Er verneint nicht den Prozess der weiteren Globalisierung und Ausweitung weltwirtschaftlicher Beziehungen, fordert jedoch bedeu-tend mehr politische Gestaltung. Gerster bringt einen augenscheinlichen Vergleich: So wie im Fußball ver-schieden starke Teams in der Nationalliga und lokalen Ligen spielen, brauche es in der Weltwirtschaft einen Schutz der Schwachen. Es sei das „Kerngeschäft“ multi-lateraler Organisationen wie der UNO, WTO oder des IWF, Spielregeln der Chancengleichheit zu formulieren und durchzusetzen. Der Globalisierung der Wirtschaft müsse eine Globalisierung der Politik folgen. Deshalb sei der Ruf, die WTO, den IWF und die Weltbank abzuschaffen, unangebracht. Not täten vielmehr Reform und Ausbau, „denn multilateralen Organisationen und Abkommen sind das wirksamste Gegengift gegen eine Liberalisierung, welche Fuchs und Huhn im Hühnerstall gleiche Freiheiten zugesteht.“ Die WTO, der IWF und die Weltbank seien „bequeme, aber falsche Feindbilder, Unzulänglichkeiten und Reformbedarf hin oder her.“ Das Sagen haben laut Gerster nicht die multilateralen Bürokratien, sondern die Regierungen der reichen Staaten: „Diese gilt es auf nationaler Ebene zur Rechenschaft zu ziehen.“ (S. 181)

An den gemeinnützigen, privaten Organisationen läge es, eine sozial ausgleichende und umweltschonende Weltin-nenpolitik einzufordern. „Die Wirtschaft versteht in einem liberalisierten Umfeld mit hartem Wettbewerb vor allem die Sprache des Marktes“, so Gerster Deshalb brauche es öffentlichkeits- und damit marktwirksame Kampagnen, um Forderungen über das gesetzliche Minimum hinaus durchzusetzen. Parallel dazu seien Lobbying und ein Dialog mit Wirtschaft und Politik erforderlich. Leichter gesagt als getan! H. H.

Bei Amazon kaufenGerster, Richard: Globalisierung und Gerechtigkeit. Bern: h.e.p.-Verl., 2001. 203 S., € 26,-; ISBN 3-905905-13-2